Schuster und das Chaos im Kopf - Kriminalroman
wollte ihn fragen, ob ihm irgendwas aufgefallen war, jemand, der sich außer ihm selbst in diesem Haus herumgetrieben hatte. Doch Bieber kam ihm zuvor. »Sie saß da ... und guckte mich an. Ich dachte, warum guckt die mich an? Dann bin ich hin, und sie hat immer noch geguckt. Aber die war ja tot. Ich hab ’nen Schreck gekriegt, bin schnell weg da. Sie hatte nur ’nen Schlüpfer an.«
Grätsch zog die Augenbrauen hoch. »Ist ihnen irgendwas aufgefallen? War außer Ihnen vielleicht noch jemand dort?«
Bieber sah zur Tür und nagte an seinem dreckigen Daumennagel.
»Ich hab ihr nix getan. Wollte sie nur angucken. So schöne Haare. Und so schöne ...« Er fasste sich mit beiden Händen an den Oberkörper.
Grätsch räusperte sich. »Herr Bieber, noch mal ... Ist Ihnen etwas aufgefallen? War noch jemand dort?«
»Nur ich und die Frau.« Bieber starrte noch immer zur Tür, so als erwarte er jemanden.
»Schön.« Grätsch erhob sich und streckte sich etwas. »Ich muss Sie bitten, eine Speichelprobe abzugeben.«
»Warum?« Bieber war verwirrt. »Ich hab sie doch nicht tot gemacht.«
»Haben Sie die Frau angefasst, Herr Bieber?«
Bieber sprang auf und blieb breitbeinig stehen. »Ja! Ja, ich hab sie angefasst.« Seine Augen waren aufgerissen. »Aber nur einmal! Hier!« Er zeigte auf seine Brust.
Grätsch wurde ganz anders. Er unterdrückte ein heftiges Stöhnen.
»Ich wusste doch nicht, dass sie tot ist! Richtig tot! Das hab ich doch nicht gewusst!« Biebers Stimme überschlug sich, und er fing an zu flennen wie ein kleines Kind.
Grätsch wollte noch etwas erwidern, überlegte es sich anders und ging kopfschüttelnd nach draußen.
Johann Bieber gab eine Speichelprobe ab und wurde in eine Zelle gebracht.
Dort bekam er zu essen und zu trinken, hatte ein Dach überm Kopf mit einer halbwegs bequemen Matratze. Für jemanden wie ihn besser als manch anderes Quartier.
Früher war er Lkw-Fahrer gewesen, hatte viele Jahre für eine Bremer Spedition gearbeitet, war viel in den Niederlanden und Belgien unterwegs gewesen. Dann wurde ihm gekündigt. Er war bereits über 50, fand keinen neuen Job und bald war er auch seine Wohnung los. Früher hatte er Kampfsport gemacht und ein paar Jahre geboxt, was Schuster schmerzhaft zu spüren bekommen hatte.
Der hatte seine Jacke bereits in der Hand, als Staatsanwalt Südmersen hereinschneite. Er baute sich vor Schusters Schreibtisch auf und zeigte auf dessen Nase. »Wie ist das passiert?«
»Ich hab eins auf die Nase gekriegt.« Er hielt dem Blick des Staatsanwalts stand.
»Was Sie nicht sagen! Und ich denke, nicht von Ihrer Frau.« Südmersen, noch nie besonders feinfühlig, verschluckte immerhin den Rest des Satzes: Oder sieht sie genauso aus?
Er schluckte, als er Schusters Gesicht sah. Er war zu weit gegangen und war drauf und dran, eine Entschuldigung zu stammeln.
Aber Schuster blieb erstaunlich ruhig. »Nein.«
»Dann erklären Sie mir doch, wie das passiert ist.« Südmersen wippte auf den Zehenspitzen, so wie er das immer machte, wenn er Überlegenheit demonstrieren wollte und doch nur Arroganz zeigte.
Schuster seufzte. Er würde Südmersen nie in sein Herz schließen, egal wie sehr er sich bemühte, und egal wie oft er es bereits versucht hatte. »Ich war in Tenever und wollte mir den Fundort noch mal ansehen. Und da bin ich angegriffen worden.« Das musste reichen.
Südmersen reichte das aber nicht. Er funkelte Schuster an und beugte sich noch etwas weiter vor. »Angegriffen? Von wem?«
»Von einem Kerl.«
»Meine Güte, Schuster, lassen Sie sich nicht alles aus der Nase ziehen!«
Südmersen war ein passabel aussehender Bursche, groß und etwas stämmig. Er legte größten Wert auf eine gepflegte Erscheinung, und doch wirkte er immer irgendwie schmierig.
Schuster räusperte sich. »Na schön, ein Mann, der am Fundort war, fühlte sich von mir ... bedrängt. Und da ist er auf mich los.«
»Sie waren also allein dort?«
»Ich dachte, wir haben nicht genügend Personal, um mal eben zu zweit ...«, konterte Schuster.
Südmersen zog die Augenbrauen hoch. »Und warum haben Sie keine Verstärkung angefordert? Wenn Sie sehen, da ist jemand, hätten Sie doch Verstärkung rufen müssen.«
Erzähl mir nicht, wie ich meinen Job zu machen habe.
»Der Mann stand nicht mit einer Waffe vor mir, Herr Staatsanwalt. Er hat mich quasi überrumpelt. Wir haben ihn bereits.«
»Wenigstens etwas«, brummte Südmersen. »Wenn Sie mit dem Fall überfordert sind, Herr Schuster,
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