Schutzengel mit ohne Flügel
Kirschen essen. Er war aus hartem Holz geschnitzt.
Einige Tage später wurde eine Auktion des beweglichen Eigentums von Hilma Väisänen veranstaltet, auf der Aaro Korhonen am höchsten bot. Der Preis war gering, denn die Habseligkeiten und die uralten Möbel der Frau interessierten kaum jemanden.
Aaro hatte noch seine Dienstwohnung in Pietarsaari. Er besaß kaum bewegliche Habe, keine Möbel und auch sonst nicht viel, wenn man von den Büchern absah. So würde sein Umzug keine große Sache sein. Er vereinbarte mit Oskari, der ja ein ehemaliger Umzugshelfer war, dass sie gelegentlich zusammen nach Pietarsaari fahren würden, um die Bücher und die anderen Sachen abzuholen und nach Helsinki zu bringen.
Hilma Katariina Väisänens Wohnung war letztlich sehr hübsch, die Wohnzimmereinrichtung mindestens hundert Jahre alt. In einem der Schlafzimmer standen ringsum an den Wänden Regale, die Unmengen von Büchern enthielten, in Doppelreihen, und in der Ecke prangten zwei Biedermeiersofas, Originale aus dem Jahre 1788, allerdings später neu bezogen, sowie ein kleiner verschnörkelter Tisch und eine Stehlampe. Aaro stellte fest, dass die Lampe von 1919 stammte, sie war aus dem damaligen St. Petersburg auf irgendeine wundersame Weise vor den Stürmen der Revolution nach Finnland gerettet worden. An der Decke des Wohnzimmers schimmerte ein Kristallkronleuchter, bei dessen Anblick Sulo Auvinens Geist vor blankem Neid seufzte. Weder er noch seine Frau waren je in den Besitz einer solchen Kostbarkeit gelangt. Viivi zeigte Aaro die weibliche Sammlung der Verstorbenen im Badezimmer: Lippenstifte, Parfüms von St. Laurent, Tiegel und Döschen zu Dutzenden. Auf den Bügeln im Kleiderschrank hingen seidene Morgenröcke, Pyjamas, ein Abendmantel. Der Fußboden war mit echten Orientteppichen bedeckt.
Das Parkett war erneuert worden, stabiles Riemenparkett, das Viivi einmal pro Monat gebohnert hatte, wie sie sagte. Viele Jahre lang hatte sie Hilma betreut und in ihrem Namen sogar teure Kunstwerke gekauft – Bilder noch und noch, sie lagerten auf dem Dachboden, nummeriert. Zahlreiche Arbeiten von Edelfelt waren darunter, größtenteils gute Kopien, aber mindestens eine oder zwei waren echt. Die Gemälde waren in Wellpappe eingeschlagen, denn man konnte sie ja schließlich nicht in Plastiksäcken aufbewahren.
Die Bibliothek war gut geordnet. Viivi erzählte, dass in den Regalen mehr als zehntausend Bände standen, sie hatte sie vor zwei Jahren gezählt, als sie sie herausgenommen und abgestaubt hatte. Aaro warf einen Blick auf die ledernen Buchrücken: Giuseppe Acerbi, Fenimore Cooper, Johannes Linnankoski, alles Erstausgaben. Auch eine ganze Reihe Raymond Chandler war da, gebunden, ferner eine ledergebundene tschechischsprachige Ausgabe von Tacitus' Jugendwerken sowie Pentti Haanpääs unveröffentlichtes, aber sachkundig gebundenes Manuskript Sumpfwanderungen. Sogar die erste finnischsprachige Ausgabe von Nordenskiölds Tagebüchern war da – und Lars Leevi Laestadius' Bibelübersetzung sowie eine wirkliche Rarität: ein 129-seitiges Handbuch der Naturgeschichte und der Floristik aus dem Jahre 1898.
Viivi verweilte im Badezimmer, wo sie sich mit den Stiften der Verstorbenen die Lippen schminkte. Schönes Endergebnis, das musste Aaro zugeben, aber er vermutete, dass all die Kosmetika inzwischen überlagert waren. Womöglich war das Verfallsdatum längst überschritten.
Viivi erklärte, dass man teure Schönheitspflegemittel von Generation zu Generation weiterbenutzen konnte, sie verfielen nie, sondern waren wie Qualitätsweine.
In diesen Räumen gab es so viele Gegenstände und Bücher, dass Aaro und Viivi damit ein Antiquitätengeschäft mit Antiquariat gründen könnten, und nebenbei könnten sie das Büchercafé betreiben.
»Darf ich kommende Nacht in der Seide schlafen?«
»Von mir aus kannst du sämtliche Kleidungsstücke mitnehmen«, erklärte Aaro.
Als Viivi nach Hause gegangen war, machte Aaro sich sein Lager im Schlafzimmer der alten Frau zurecht. Es kam ihm recht seltsam vor, sich ins Bett einer Verstorbenen zu legen, aber als er ein gutes Buch zur Hand nahm, Fjodor Dostojewskis Aufzeichnungen aus einem Totenhaus, kam er schnell zur Ruhe, und schon bald schlummerte er selig.
Jetzt war es auch für den Schutzengel an der Zeit, sich zu entfernen. Sulo Auvinen flatterte zur Caloniuksenkatu und warf einen Blick durchs Fenster des vierten Stocks in Viivis Appartement. Die Serviererin drehte sich vor dem Spiegel im
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