Schutzengel mit ohne Flügel
keineswegs korpulent, eher groß und stabil. Sein Haar war blond, seine Zähne hatten keine Löcher.
Viivi war fünfundzwanzig, ebenmäßig gebaut, eigentlich ein recht hübsches Mädchen. Sie war Bürokauffrau und hatte auf verschiedenen Stellen normale Büroarbeit geleistet, bis sie die Branche gewechselt und angefangen hatte, Hilma Väisänens Café zu betreuen. Viivi hatte mehrere Beziehungen mit Männern gehabt, die letzte war erst kürzlich in die Brüche gegangen, gerade eine Woche bevor Aaro auf der Bildfläche erschienen war.
Hier waren zwei Menschen, um die sich Sulo gut kümmern wollte. Seiner Meinung nach lohnte es. Vielleicht könnte er die beiden – oder zumindest Aaro, der so großartige Anlagen hatte – ganz nebenbei auch ein wenig erziehen. Als ehemaliger Lehrer konnte Sulo nicht ganz von diesen Versuchen lassen. Daran änderte auch nichts, dass er vor fünfzehn Jahren aus dem Schuldienst ausgeschieden, in Pension gegangen und im letzten Winter gestorben war.
Es war bereits später Abend, sodass Viivi und Aaro gerade ihren jeweiligen Heimweg antraten. Viivi begab sich in ihre Einzimmerwohnung in der nahen Caloniuksenkatu und Aaro in sein Hotel Tapiola Garden. Bevor sie sich trennten, verabredeten sie, sich am nächsten Tag im Café Väisänen zu treffen. Sie würden detaillierte Pläne für Weiterführung und Ausbau des Cafés schmieden. Beide sprudelten geradezu über vor großartigen Ideen zur Gründung eines neuen netten Kulturcafés. Vielleicht würden sie neben Kakao und Kuchenstückchen alte Bücher verkaufen …, ein Antiquariat ließe sich bestens mit einem Café kombinieren.
Auch Schutzengel Sulo Auvinen begab sich zur Nachtruhe: Engel schlafen nach Art der Geister, indem sie reglos am Himmel schweben, Sulo in der Seitenlage, den Kopf und den linken Arm unter den Flügel geschoben. Im Schlaf schwebte er, vom Nachtwind getragen, in nordöstlicher Richtung bis nach Hämeenlinna, aber morgens bedurfte es nur weniger kräftiger Flügelschläge, und er war wieder in Helsinki. Die Arbeit wartete auf ihn, Viivi und Aaro saßen bereits im Café Väisänen. Viivi füllte Formulare aus, mit denen beide die Verlängerung der Gewerbegenehmigung für das Café beantragten und – abweichend von der bisherigen Praxis – eine Genehmigung zum Ausschank schwach alkoholischer Getränke. Ebenso beantragten sie, in den Geschäftsräumen die entsprechenden Veränderungen vornehmen zu dürfen. Sie machten sich unter anderem Gedanken über die Sanitärräume, den Brandschutz, die Ausbildung der Servierkräfte …, unzählige bürokratische Formalitäten waren zu erfüllen, ehe Aaro Korhonen das Lebenswerk von Hilma Väisänen in der Mechelininkatu weiterführen durfte. Viivi, durch Ausbildung und Praxis geschult, wusste alle Anträge sachkundig auszufüllen, und als Oskari Mättö mit dem Leichenwagen erschien, um sich seinen Traueranzug wieder abzuholen, versprach er, die Papiere bei den entsprechenden Ämtern abzuliefern. Alle drei waren überzeugt, dass es sich um eine bloße Formalität handelte. Für die Öffentlichkeit und auch für die Behörden war es doch nur gut, wenn das alte Café unter kultivierteren Vorzeichen weiter bestehen würde.
Als Oskari davongefahren war, um seinen Auftrag zu erledigen und danach wieder Tote in die verschiedenen Friedhofskapellen zu transportieren, gingen Viivi und Aaro daran, die Wochenprogramme des künftigen Büchercafés zu planen. Viivi fand, dass sie das Café schon in ein paar Tagen eröffnen könnten, sowie die Kühlgeräte und die neue Einrichtung an Ort und Stelle wären.
Inzwischen war Schutzengel Sulo Auvinen herangeschwebt. Er prüfte besorgt Aaros und Viivis Pläne und entschied, dass diese rasch und nachdrücklich gestoppt werden müssten. Es kam für den ehemaligen Religionslehrer auf keinen Fall infrage, dass sein Schützling einfach so und ohne Rücksicht auf die Folgen in seinem Café alkoholische Getränke und nebenbei auch noch fragwürdige Schundliteratur verkaufte. Es war an der Zeit zu handeln, die erste Aufgabe als Engel wartete. Es galt, seine Kenntnisse aus der himmlischen Schulung entschlossen und gnadenlos in die Tat umzusetzen.
Der Schutzengel flog an diesem Tag sämtliche Ämter an, in denen Oskari die ausgefüllten Anträge abgegeben hatte. Mit seinen himmlischen Kräften sorgte er dafür, dass sie allesamt abgelehnt wurden. Es kostete ihn nicht mal große Anstrengungen. Dem Brandschutzinspektor pflanzte Sulo den schweißtreibenden
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