Schutzengel mit ohne Flügel
seidenen Morgenmantel, der zweifellos eine schöne Hülle für ihren jungen Körper bildete. Als sie sich anschickte, den Mantel auszuziehen, wurde der Engel verlegen und entschwebte in Richtung Hietaniemi-Park, wo er Höhe aufnahm und sich auf eine Nachtwolke bettete, in deren Schutz er bald einschlummerte. Die Vögel schlafen mit dem Kopf unter den Flügeln, die Engel nehmen im Schlaf die Embryostellung ein. Engel sind im Grunde genommen Säugetiere, Vögel sind Vögel.
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LITERATUR
IM LEICHENWAGEN
An Weihnachten und Johannis, am Ersten Mai und am Muttertag wird niemand beerdigt, sondern die Toten müssen warten, solange die lebenden Menschen feiern. Wie käme sich wohl ein Verstorbener vor, wollte man ihn am Ersten Mai beerdigen? Es wäre nicht würdevoll, inmitten von Jubel, Trubel, Heiterkeit in die Erde gebettet zu werden. Dasselbe trifft auf die anderen Feiertage zu. Jetzt nahte der Muttertag, es war also die Woche vor dem zweiten Sonntag im Mai. Aaro Korhonen und Oskari Mättö beschlossen, nach Pietarsaari zu fahren, um Aaros Sachen und Bücher abzuholen. Oskari handelte mit Bestattungsunternehmer Lindell aus, dass er den Leichenwagen für eine private Tour zweckentfremden durfte, da zwei Tage lang keine Leichen zu transportieren waren. Als Umzugsauto war er bestens geeignet, denn er hatte einen großen Laderaum, auf dem Sargpodest fänden Aaros Habseligkeiten bequem Platz. Oskari hatte einen Vertrauensposten in der Bestattungsfirma, sodass es nur natürlich war, dass man ihm das Auto für einen privaten Zweck auslieh. Allerdings stellte Lindell die Bedingung, dass Oskari den Wagen würdevoll fuhr und dass er auf dem Dach keinen Schaukelstuhl oder Ähnliches befestigte. In den Laderaum durfte er ansonsten so viele Bücher und anderes Umzugsgut stopfen, wie hineinpasste.
Viivi Ruokonen wollte mitkommen, aber leider ging das nicht, denn ein Leichenwagen hat vorn nur Platz für zwei Personen. Ein Liegeplatz wäre noch frei gewesen, aber nur auf der Hinfahrt, sodass Viivi auf der Rückfahrt ein anderes Verkehrsmittel hätte nehmen müssen, und das erschien ihnen nicht vernünftig. Natürlich hätte auch Aaro beispielsweise mit dem Zug seiner Umzugsfuhre nach Helsinki folgen können, aber Viivi wollte auf keinen Fall den Platz von einem der Männer beanspruchen. So fuhren denn Oskari und Aaro am Vorabend des Muttertages ins schwedischsprachige Ostbottnien. Oskari bemerkte:
»Jetzt werden wieder mal die Mütter gefeiert. Wer denkt schon daran, dass unzählige Mütter dauernd schimpfen, dass sie ihre Kinder verziehen und, wenn sie in die mittleren Jahre kommen, so aus dem Leim gehen, dass sie kaum noch durch den Zoll passen.«
Aaro bestätigte, dass das den Tatsachen entsprach, genau genommen war auch seine eigene, bereits verstorbene Mutter eine verdammte Nörglerin, keine besonders gute Erzieherin und im späteren Alter wirklich korpulent gewesen. »Aber trotzdem hatte ich meine Mutter gern, sie war einfach ein sagenhaft guter Mensch.«
Am Abend erreichten sie Pietarsaari, sie übernachteten in Aaros Dienstwohnung und standen früh am Morgen auf, um zu packen. Die Möbel verblieben an Ort und Stelle, sodass das Packen schnell ging. Die Männer trugen die Bücher, es waren mehrere Hundert Bände, in den Leichenwagen, und obendrauf stapelten sie Aaros Bettwäsche, seine wenigen Anzüge, einen Korb mit Schuhen und ähnliche Dinge. Der Sargraum füllte sich bis unter die Decke mit Büchern und Kleidung.
Bald waren sie bereit für die Rückfahrt. Der Manager der Fabrik erschien, um Aaro zu begrüßen und sein Bedauern zu äußern, dass jener den Verwalterposten aufgegeben hatte. Er selbst wollte in ein paar Jahren in Pension gehen, sodass Aaro ganz sicher zu seinem Nachfolger gewählt worden wäre, hatte man doch in der Fabrik sehr gute Erfahrungen mit ihm gemacht. Andererseits verstand der Manager, dass Aaro mit seinen vierzig Jahren neue Herausforderungen im Leben suchte. Ein kleiner Ort bot nun mal nicht dieselben Möglichkeiten für eine Karriere wie Helsinki.
»Falls du eines Tages den Wunsch hast, wieder nach Pietarsaari zurückzukehren, findet sich hier für einen Mann deines Schlages immer Arbeit, vergiss das nicht«, mit diesen Worten verabschiedete ihn der Manager. Dann bat er darum, mit dem Leichenwagen einmal um den Block fahren zu dürfen, denn er hatte noch nie Gelegenheit gehabt, diese Erfahrung zu machen. Eines Tages würde man ihn zwar damit kutschieren, aber dann könnte er die Fahrt
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