Schutzengel mit ohne Flügel
nicht mehr so genießen wie heute. Oskari gab ihm die Schlüssel, und so fuhr er eine Runde durch die Stadt, langsam im Schritttempo, in feierlicher Andacht. Wieder bei den Männern angekommen, wünschte er ihnen einen schönen Muttertag, und sie traten ihre Heimfahrt an.
Schutzengel Sulo Auvinen war seinerseits nach Pietarsaari geflogen und beschloss, dafür zu sorgen, dass auf der Rückfahrt nichts Unangenehmes passierte. Das war schließlich seine Aufgabe, und in diesem Sinne schwang er sich in die Lüfte und flog über dem Leichenwagen dahin wie ein Lotse. Allerdings fand Oskari den Weg nach Helsinki auch ohne himmlischen Wegweiser, ihm genügte eine gewöhnliche Landkarte.
Die Fahrt war kurzweilig. Aaro plante sein Antiquariat und Antiquitätengeschäft. Oskari kündigte an, dass er auf jeden Fall ab und zu vorbeischauen würde, um Viivis Kaffee zu trinken und einen Pfannkuchen zu essen. Vielleicht würde er sogar gelegentlich einen Krimi kaufen. Außerdem versprach er seine Hilfe, wenn es galt, Hilmas Bibliothek nach unten zu tragen.
In Süd-Ostbottnien benutzten sie zur Abwechslung die Nebenstraßen und sahen sich die abgeschiedenen Dörfer an. Aaro überlegte sich, dass er öfter hierherkommen könnte, um für sein Geschäft alte Gegenstände zu kaufen, Butterfässer, Birkenranzen und anderen bäuerlichen Kram. In dieser Gegend überquert die Dorfstraße die Bahnstrecke nach Parkano. Sulo Auvinen, der in einem halben Kilometer Höhe dahinschwebte, sah, dass sich von Süden her ein unglaublich langer Güterzug dem unbeschrankten Bahnübergang näherte. Für alle Fälle beschloss er, das Tempo des Leichenwagens, der sich mit seiner schweren Bücherlast vorwärts kämpfte, zu erhöhen, damit der noch vor dem Zug sicher über die Gleise gelangte. Aaro am Steuer bemerkte bald, dass das Auto schneller wurde. Auch Oskari wunderte sich. War bei der letzten Inspektion der Motor getunt worden, da die alte Mühle ganz von allein dieses rasante Tempo anschlug?
Der Zug ratterte schneller heran, als es sich von oben aus der Luft zunächst hatte ahnen lassen. Sulo Auvinen überlegte, ob es vielleicht doch klüger war, auf die Bremse zu treten und ruhig abzuwarten, bis der Zug vorbei wäre. Die Entscheidung musste schnell fallen, denn bis zum Punkt des Aufeinandertreffens beider Fahrzeuge war es nur noch ein Kilometer. Sulo beschloss, das Risiko einzugehen, und drückte beim Leichenwagen auf die Tube.
»Na hol's der Teufel«, wunderte sich Aaro Korhonen. »Das Ding gehorcht nicht mehr, wahrscheinlich klemmt das Gaspedal.«
Oskari meinte, dass das nur bei Mopeds passierte, dass der Motor nicht mehr gehorchte, aber sicherlich nicht bei einem schweren Leichenwagen. Jedenfalls nicht bei ihm.
Das Tempo des alten Chevrolet erhöhte sich auf hundert, nicht etwa Kilometer, sondern Meilen pro Stunde. Aaro Korhonen schwitzte am Steuer, die Bremsen funktionierten nicht, und der Wagen beschleunigte immer weiter. Dann tauchte der unbeschrankte Bahnübergang auf und ein Zug, der in voller Fahrt herandonnerte.
»Nichts mehr zu machen«, brüllte Aaro, und so war es in der Tat. Aus allen Rohren pfeifend und tutend, stürmte die Lok heran wie ein riesiger Rammbock. Wäre die Geschwindigkeit des Leichenwagens nicht so irrsinnig hoch gewesen, mindestens 200 km/h, wäre er vom Zug zermalmt worden. Aber im allerletzten Moment schoss er vor der Lok über die Gleise und raste in vollem Tempo weiter.
»Geschafft!«, schrie Aaro, aber diese Einschätzung kam verfrüht. Das Tempo war zu hoch, sodass der Leichenwagen am Ende der geraden Teilstrecke in einer Kurve wie eine schwarze Rakete direkt auf den Acker sauste. Am Waldesrand überschlug er sich krachend und blieb platt gedrückt auf dem Dach liegen, die Räder zum Himmel gereckt. Aus den Fenstern und aus der Hecktür waren Bücher gepurzelt und hatten sich über das Feld verteilt, ihre Blätter flatterten im leichten Frühlingswind des Muttertages.
Sulo Auvinen stürzte wie ein Habicht vom Himmel auf das mit Büchern übersäte Feld herunter und betrachtete erschüttert das Ergebnis seiner Bemühungen.
»Verflucht und zugenäht«, entfuhr es dem Schutzengel.
8
VON OBEN REGNET ES NEUE SCHWIERIGKEITEN
Aaro Korhonen und Oskari Mättö krochen mit blutenden Gesichtern aus dem Autowrack. Sie rappelten sich mühsam hoch und prüften, ob sie sich Knochen gebrochen hatten. Zum Glück nicht, und darüber war der Schutzengel besonders froh. Es war zwar ein Unglück geschehen, aber
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