Schutzengel mit ohne Flügel
UND RUOKONEN GERATEN IN STREIT
An den nächsten beiden Tagen blieb Ritva Nuutinen dem Antiquariat-Café Korhonens fern. Sie nutzte die Zeit, um sich alte religiöse Literatur zu beschaffen. Auch sonst war es ihr wichtig, sich mit den antiquarischen Buchhandlungen in Helsinki vertraut zu machen, damit sie sachkundig mit Aaro Korhonen über Fachprobleme diskutieren und ihm so helfen konnte.
Sulo Auvinen war zu Lebzeiten in jeder Weise gebildet und kultiviert gewesen, ein Gentleman eben. Nach seinem Tod und nachdem er ein Engel geworden war, hatte er seinen Stil beibehalten, vielleicht sogar noch verfeinert. Als nun Fräulein Ritva Nuutinen nach Helsinki gekommen war und, Sulos Wunsch entsprechend, begonnen hatte, Aaro Korhonen zu bezirzen, wollte er bei diesen wichtigen Schritten möglichst dabei sein.
Also ging er mit ihr in verschiedene Antiquariate, wo sie alte Bücher kaufte und geistreich über bibliophile Themen plauderte. Aber das genügte nicht. Sulo Auvinen begriff, dass eine Frau außer dem geistigen Rüstzeug auch ein attraktives Äußeres brauchte. Ritva Nuutinen musste nicht groß überredet werden, Kaufhäuser zu besuchen und ihre Garderobe sowie die Auswahl an Parfüms zu vervollständigen. Sogar zu Ikea hetzte Sulo sie, weil er gehörte hatte, dass dort auch allerlei Kleinkram angeboten wurde, den eine Frau möglicherweise für ihren persönlichen Bedarf gebrauchen konnte. Also mit dem Taxi raus auf die Turkuer Autobahn und zu Ikea. Weil Sulo mit seinen langen Flügeln nicht in einen Pkw passte, flog er vorweg und wartete vor der Drehtür, als das Fräulein eintraf.
Sulo Auvinen verbeugte sich höflich und ließ Ritva Nuutinen den Vortritt. Dabei verhedderte sich der langflügelige Engel jedoch in der Türschleuse, die Federn stoben nur so und – was besonders peinlich war – Fräulein Nuutinen fiel der Länge nach ins Vestibül des Möbelhauses. Es knallte unheilverkündend, als sie mit dem Kopf auf dem Fußboden aufschlug. Zum Glück entstand auf der Stirn keine allzu große Beule. Auf der Damentoilette rieb sich Fräulein Nuutinen eine beruhigende Salbe auf die Schläfen, und als sie ihre kleine Beule mit Puder bedeckt hatte, sah alles wieder mustergültig aus.
Am dritten Tag zog sich Fräulein Nuutinen ihre gewöhnliche Alltagskleidung an, wobei sie allerdings darauf achtete, dass diese ordentlich und stilvoll war, dass die Frisur saß und das Parfüm hochwertig war. Da der Frühling, diese herrliche Jahreszeit, sich seinem Ende zuneigte, kaufte sie einen Strauß gelber Narzissen und stattete damit Korhonens Büchercafé einen Besuch ab.
Viivi Ruokonen freute sich nicht sonderlich, als sie Fräulein Nuutinen wiedersah, und als die ihr die Blumen überreichte, hätte sie ihr den Strauß am liebsten ins Gesicht geklatscht.
»Ich habe mich entschlossen, Ihnen die schönsten Blumen des Frühlings zu bringen. Zwischen alten Büchern und Möbeln muss es doch auch etwas ganz Frisches und Schönes geben, nicht wahr?«
Aaro Korhonen suchte in den Beständen von Frau Väisänen eine Vase, die er in der Küche des Cafés mit Wasser füllte. Viivi stellte die Blumen hinein. Dann musste noch beschlossen werden, wo sie ihren Platz finden sollten. Viivi erklärte in strengem Ton, dass sie jedenfalls nicht ins Café kämen, heutzutage hatten die Leute Asthma, und viele waren allergisch gegen Pollen und Blumenduft. Fräulein Nuutinen stellte die Vase ins Schaufenster zwischen alte Bücher und Gemälde. Sie dekorierte die Auslagen neu, und es war nicht zu leugnen, dass alles sehr hübsch wurde.
Als sie damit fertig war, ließ sie ihr perlendstes Lachen hören, gab dem verdutzten Aaro Korhonen die Hand und ging zur Tür hinaus.
Ihren nächsten Angriff startete sie schon einen Tag später. Sie packte die alten religiösen Werke, die sie im Laufe der vergangenen Tage in den Antiquariaten erworben hatte, in eine große Tasche, schleppte sie zu einem Taxi und ließ sich zum Büchercafé in der Mechelininkatu fahren. Dort begrüßte sie Viivi Ruokonen gleichgültig und deutete dann auf einen Tisch im Laden, auf dem der Taxifahrer die schwere Tasche abstellte. Anschließend bezahlte sie den Mann und packte die Bücher aus, damit Aaro Korhonen sie begutachten konnte.
Sulo Auvinen beobachtete die Szene zufrieden. Dies war eine Begebenheit, wie man sie nicht alle Tage erlebte. Kultur, Religiosität, die Freude des Gebens waren hier anwesend, und mit der Zeit würde sich hoffentlich auch die Liebe einstellen.
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