Schutzengel mit ohne Flügel
auch woanders welche als in diesem Loch.«
Erst jetzt begriff Aaro, dass Viivi im Begriff war zu gehen, und er versuchte, sie zum Bleiben zu überreden. Aber sie war so zornig, dass sie nicht mehr zuhörte. Auch Fräulein Nuutinen geriet in Rage, sie stieß den Staubsauger gegen die Tür, mitten in einen Stapel mit alten Gegenständen, und fing an, die Serviererin zu beschimpfen. Verzweifelt versuchte Aaro, die wütenden Frauen zur Vernunft zu bringen.
Nun mischte sich Schutzengel Sulo Auvinen ein. Er versuchte die beiden zu besänftigen, indem er ihnen den edlen Gedanken an Frieden ins Gehirn pflanzte, aber vergebens. Zwei wütende Frauen zur Räson zu bringen, ist eine übermäßig schwere Aufgabe, sogar für einen Schutzengel. Sulo Auvinen überlegte kurz und beschloss dann, Oskari Mättö einzuschalten, vielleicht würde es dem erfahrenen und besonnenen Mitarbeiter der Bestattungsfirma gelingen, für Entspannung zu sorgen.
Aaro Korhonen zog sich rückwärts zur Ladentür zurück. Ihm folgten zwei streitende Frauen, die immer noch den Staubsauger mit Fußtritten traktierten. In diesem Moment klingelte Aaros Mobiltelefon. Der Schutzengel hatte Oskari anrufen lassen.
»Hallo, hier ist Oskari, gerade eben musste ich an dich denken. Ich habe einen neuen Leichenwagen, oder eigentlich ist er aus Kerava geliehen, dort wird zurzeit nicht gestorben, wir konnten ihn billig mieten. Kommst du vielleicht mit nach Schweden, wenn ich für Lindell einen neuen Leichenwagen abhole? Und wie geht's dir sonst so?«
»Was soll ich sagen, wir haben hier gerade eine kleine Auseinandersetzung. «
Aaro zog sich bei diesen Worten auf die Straße zurück. Der Schutzengel bemerkte, dass sein Schützling bereits die Fahrbahn betreten hatte, über die der Morgenverkehr hinwegdonnerte. Oskari Mättö würde zu spät kommen. Also musste schnell gehandelt werden, damit Aaro nicht von einem Auto überfahren werden würde. Er achtete nämlich nicht auf den Verkehr, da er mit seinem Freund sprach und gleichzeitig versuchte, die wütenden Frauen zu beruhigen.
Der Schutzengel fasste einen schnellen Entschluss und stoppte den gesamten Autoverkehr. In seinem Eifer bemerkte er den Motorroller nicht, der sich in scharfem Tempo vom Stadtzentrum her näherte, ein junges Mädchen mit wehendem Halstuch saß darauf. Obwohl der übrige Autoverkehr anhielt, als stünde er vor einer roten Ampel, brauste das Mädchen nichtsahnend mit seinem gelben Roller durch die Mechelininkatu und war bald auf der Höhe des Büchercafés. Im selben Moment trat Aaro rückwärts fast in die Mitte der rechten Fahrspur, und der ungeschickte Schutzengel konnte die Situation nicht mehr retten. Das Mädchen stieß mit Aaro Korhonen, der in sein Handy sprach, zusammen. Beide stürzten kopfüber zu Boden, der Motorroller rutschte auf den Bürgersteig, die Fahrerin mit ihm, ein Aufschrei war zu hören, und dann wurde es ringsum still. Das Mädchen lag bewusstlos auf dem Gehsteig, Kopf und Hals blutverschmiert, die Jacke färbte sich rot. Der rechte Unterschenkel war hässlich abgeknickt. Aaro war mitten in seinem Telefonat auf der Straße zusammengebrochen. Der Schutzengel stand da, staunend und erschrocken wie einst die Hirten an der Krippe in Bethlehem. Jetzt musste schnellstmöglich irdische medizinische Hilfe her.
Der pensionierte Orthopäde Seppo Sorjonen, neuerdings Professor, befand sich gerade auf seinem täglichen Spaziergang und steuerte sein Stammlokal, das Restaurant Salve, an, als Sulo Auvinen ihn an den Unfallort schubste.
Sorjonen beugte sich über die auf der Straße liegenden Patienten und überprüfte rasch, ob sie bei Bewusstsein waren. Konnte er den Puls fühlen, atmeten sie? Beide lebten, waren aber nicht ansprechbar. In Sorjonen erwachten sofort alte Erinnerungen. Während seiner Studienjahre in New York hatte er als angehender Chirurg bei Randalen am südlichen Stadtrand die ernsthaft Verletzten und die leicht Verwundeten voneinander getrennt. So stufte er das junge Mädchen routiniert als schwer verletzt ein und überließ Aaro Korhonen den jaulenden Weibern. Er wies sie an, sich schleunigst um einen Krankentransport zu kümmern, und sagte ihnen, wie sie den bewusstlosen Mann behandeln und seinen Zustand beobachten sollten.
Sorjonen untersuchte das Rückgrat des Mädchens und stützte es mit seinem eigenen Mantel ab, um weitere Verletzungen zu vermeiden. Dann tastete er sorgfältig ihren Brustkorb und ihre Beckengegend ab, um sich über deren Stabilität
Weitere Kostenlose Bücher