Schutzengel mit ohne Flügel
Testament vorhanden waren, sollte sie nach Finnland überführt werden und in der Heimaterde in Keikyä ihre letzte Ruhe finden. Der Sarg war bereits besorgt, der Totenschein ausgestellt, und einen Pass brauchte sie nicht mehr. Ein Frachtbrief genügte.
Es gab noch einen zweiten Grund zur Trauer. Amalia Karhunens gute Freundin Elsa Suhonen lag im katholischen Krankenhaus von Berlin im Sterben, und auch sie sollte zum Friedhof nach Keikyä geschafft werden. Nur leider lebte Elsa noch, war allerdings hirntot, und vermutlich würde sie in allernächster Zeit hinscheiden. Hilkka Pöntinen, die Vizevorsitzende der Gesellschaft, fragte die beiden Männer, ob sie es möglich machen könnten, so lange zu warten, bis Elsa tot wäre und man die entsprechenden Dokumente ausgestellt hätte. Eine Obduktion wäre wohl kaum erforderlich, und so könnten denn die sterblichen Überreste beider Freundinnen mit Stil und Würde ins Heimatland überführt werden.
»Im Bestattungsinstitut Lindell sagte man mir, dass Sie zwei Leichenwagen zur Verfügung haben.«
»Ja, stimmt, und beide nagelneu«, prahlte Oskari.
Hilkka Pöntinen bewaffnete sich für den Gang ins katholische Krankenhaus mit einem Kerzenständer und zwei blauen Kerzen, die sie am Bett der Patientin entzündete, dann bat sie das Personal, den Raum für einen Moment zu verlassen. Sie beugte sich übers Bett der künftigen Toten, zog die Schläuche aus dem Körper der alten Frau und blickte auf den Monitor. Dort zeigte sich anstelle der schwachen Herzkurve ein gerader Strich.
»Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende«, konstatierte sie kühl realistisch.
Der Tod war eingetreten. Es war ein erhabener Augenblick, Aaro und Oskari räusperten sich schweigend. Hilkka fragte, ob einer der Männer eine passable Singstimme habe, damit man gemeinsam einen Choral summen könnte. Keiner der beiden mochte das von sich behaupten, aber als Hilkka mit leiser Stimme das Lied O Welt, ich muss dich lassen zu singen begann, stimmten Oskari und Aaro mit ein. Der behandelnde Arzt kam herein und gab den trauernden Finnen die Hand.
»Mein Beileid, eine Obduktion ist nicht erforderlich, die Papiere sind bereits seit zwei Wochen fertig.«
Es dauerte seine Zeit, bis der Leichnam erkaltet war und bis man ihn hergerichtet hatte. Nach drei Tagen konnten die Männer die Rückreise antreten. Die Särge wurden eingeladen, Aaro nahm den Mercedes, Oskari den Volvo. Sie verließen Berlin und steuerten Dänemark an. Lindell teilten sie mit, dass sie nach der Ankunft in Finnland zunächst die Verstorbenen nach Keikyä bringen würden, sie wären dann in drei Tagen zurück. Lindell bedankte sich, daheim in Finnland warteten bereits sechs neue Tote.
19
DIE LETZTE REISE DER
DAMEN AUS KEIKYÄ
Auf der neuen Brücke über den Großen Belt konnten Aaro und Oskari es nicht lassen auszuprobieren, wer von ihnen den schnelleren Leichenwagen hatte. Die Gelegenheit war günstig, denn seit dem Start in Berlin war ein ganzer Tag vergangen, jetzt war es bereits Mitternacht und auf der Brücke kaum Verkehr. Am Steuer des Volvo saß jetzt Aaro, den Mercedes kutschierte Oskari. Er hatte Elsa als Passagierin, in Aaros Obhut befand sich Amalia, Kaltblüter alle beide.
Die Wagen schossen davon. Der Volvo beschleunigte schneller, von null auf hundert in 6,7 Sekunden, aber der Mercedes konnte gut folgen. Als die Tachonadeln jenseits der 200 km/h pendelten, überholte Elsas Wagen den Volvo, aber Amalia gab nicht auf. Kurz vor dem schwedischen Ufer rasten die Wagen Seite an Seite auf eine soeben errichtete Straßensperre der schwedischen Polizei zu. Jetzt war die Wirkung der Bremsen gefragt. Die ABS-Systeme funktionierten großartig bei beiden Automarken. Allerdings waren es natürlich sommerliche Straßenverhältnisse.
Die Flagge des Volvo auf Halbmast, den Mercedes hübsch ordentlich danebengestellt. Aaro und Oskari warfen den Polizisten vor, dass ihr Radar offenbar nicht ganz von dieser Welt sei, denn wer würde schon mit einem Leichenwagen zweihundert Stundenkilometer und mehr fahren? Das war doch bescheuert. Zur Bekräftigung ihrer Worte öffneten sie die Hecktüren und präsentierten ihre Passagiere. Die Beamten konnten nur mehr hüsteln. Es handelte sich also um eine Trauerfahrt, vielleicht hatten da die neuen internationalen Geschwindigkeitsmessgeräte tatsächlich gelogen? Sie entschuldigten sich für ihren lebensnahen Amtseifer und ließen die beiden passieren.
Die Freunde quartierten sich
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