Schutzengel mit ohne Flügel
vor Elsas und Amalias Leichen ein. Da sie nun reichlich Zeit hatten, lehrte Sulo die beiden Frauen, richtig zu fliegen. Er war ein geübter Luftfahrtengel und auch sonst vom Wesen her beschwingt. Er veranstaltete für die beiden Anfängerinnen einen regelrechten Kurs, lehrte sie den Gleitflug, die Rhythmik der Flügelschläge sowie Sturzflüge und das Ausruhen auf Luftströmen. Amalia und Elsa kicherten unsicher, und da sie bereits betagt waren, hatten sie Angst, sich in die von Sulo vorgeschlagenen Höhen hinaufzuschwingen. Im Laufe des Tages bekamen sie jedoch mehr Mut. Sie erinnerten sich an ihre Jugend, als sie aus purem Übermut nach Deutschland gereist waren, angeblich um zu studieren. Der Geldmangel hatte sie jedoch gezwungen, als Dienstmädchen zu arbeiten und später deutsche Männer zu heiraten, womit die Freiheit ihrer Mädchenjahre geendet hatte. Als Hausfrauen hatten sie im fremden Land ihr Leben verbracht, buchstäblich zwischen Faust und Herd. Die Ehegatten waren schon vorzeiten gestorben, Gott sei dafür Dank.
Am Nachmittag veranstaltete Sulo Auvinen zum Abschluss des Kurses auf der Kirche von Keikyä eine private Flugschau. Er stieg behände auf wie ein Albatros. In drei Kilometern Höhe faltete er seine mächtigen Flügel spitz zusammen und stürzte aus den Schönwetterwolken herab wie ein schwarzer Meteorit. Unten auf dem Vorplatz der Kirche kreischten Amalia und Elsa vor Schreck und Bewunderung. Alles wäre perfekt gelaufen, hätte nicht Sulo Auvinen in seinem Übermut den freien Fall ein wenig zu lange ausgedehnt. Er breitete im letzten Moment die Flügel aus, um aus dem Fall in einen eleganten Gleitflug zu kommen, aber das Tempo war gefährlich hoch. Die Federn stoben, als der Fliegerheld auf dem Glockenturm aufschlug, wo er, ein wenig geniert, hängen blieb.
Amalia und Elsa halfen dem Gentleman-Engel herunter und umsorgten ihn, so wie sie es in ihrer Ehe gelernt hatten. Der Fluglehrer erholte sich bald so weit von seinem wilden Sturz, dass er den Damen verraten konnte, der Aufschlag habe zum Programm gehört. Die Schlussnummer einer Flugschau müsse so riskant sein, dass das Publikum geboten bekomme, was es sich im Innersten wünsche: die Faszination des Fliegens, Schrecksekunden, unerträgliche Spannung und zum Schluss befreiende Erleichterung.
Auf ihrer letzten Wegstrecke von Turku nach Helsinki brachten Aaro Korhonen und Oskari Mättö die Leichen von Amalia und Elsa in deren Heimatgemeinde nach Keikyä, wo das örtliche Bestattungsinstitut sie übernahm. Oskari hinterließ Lindells Transportrechnung zur Weitergabe an die Erben. Sulo Auvinen als Gentleman-Engel dankte den Damen für den schönen Tag und wünschte beiden eine angenehme Ewigkeit.
Spät abends, noch vor der Ankunft in Helsinki, erhielt Aaro Korhonen eine Nachricht auf dem Handy: Hey, lieber Aaretti, die Mechelininkatu brennt. Komm bald nach Hause, das wünscht Viivi.
20
DIE MECHELININKATU BRENNT
Jani Vottonen rächte sich für die Abreibung, die ihm Fräulein Nuutinen verpasst hatte, indem er den Dachboden des Hauses in der Mechelininkatu anzündete. Das geschah zum selben Zeitpunkt, da Oskari und Aaro mit den Leichen aus Deutschland zurückkehrten. Anstelle der üblichen Sprayflasche nahm Jani eine Flasche mit Zündflüssigkeit sowie ein Bündel Putzwolle mit. Mit genau diesen Zutaten hatten er und seine Kumpane sich im Sommer Lagerfeuer an der Töölö-Bucht angezündet, um Würste zu grillen. Jani marschierte in die Mechelininkatu, drückte auf ein paar Klingeln am Aufgang A und gelangte erneut problemlos ins Haus. Er stieg die Treppe hoch und brach die Tür zum Dachboden auf. Kein Problem für ihn, den von seinen Kumpanen geachteten Schmierfinken und angehenden Ganoven. Wenn man ein Sicherheitsschloss öffnen will, braucht man dafür nichts weiter als lange Fingernägel und ideelle Kräfte.
Jani schnupperte und atmete die abgestandene Luft des Dachbodens ein. Sie war trocken und inspirierend. Bald würde alles, was sich hier oben befand, zu Asche verbrennen! Und die Korhonensche ein Stockwerk tiefer würde ebenfalls verkohlen, garantiert. Was musste sie auch dem King von Töölö in den Arsch treten. Zum Glück hatte niemand die peinliche Nummer gesehen. Ein Scheißgedanke, dass einen so ein blödes Weib kaltgestellt hatte. Eigentlich hätte er die Stahlkette von der Motorsäge mitbringen müssen, da hätte die Alte hinterher solche Spuren in der Fresse, dass sie sich nie mehr trauen würde, in den Spiegel zu
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