Schutzengel mit ohne Flügel
das Tempo drosseln, aber bald schon waren sie in der Mechelininkatu. Schon von Weitem, vom nördlichen Ende der Straße aus, konnten sie sehen, dass es sich um ein Großfeuer handelte, aus der Anzahl der Löschfahrzeuge und der riesigen Rauchwolke zu schließen. Zweihundert Meter hinter Aarettis antiquarischem Büchercafé war die Straße abgesperrt. Aaro und Oskari kamen auf die Idee, in den Park von Hietaniemi zu fahren, dort stellten sie die Leichenwagen ab, dann rannten sie an den Brandort.
Sechzehn Löschwagen waren vor Ort, dazu ein Leiterfahrzeug und Dutzende Feuerwehrmänner, ringsum stand eine dichte Menschenmenge. Es war bereits dunkler Abend, sodass das Feuer die ganze Gegend erleuchtete. Der Dachstuhl des Hauses Mechelininkatu 15 brannte lichterloh, die Flammen züngelten in den Nachthimmel. Es war ein makabrer und zugleich prachtvoller Anblick. Hoch über allem flatterte der aufgeregte Schutzengel, den die Menschen natürlich nicht sahen. Viel fehlte nicht, und Sulo Auvinen hätte sich die Flügel verbrannt, so gewaltig waren die Flammen, die aus dem Etagenhaus schlugen. Das Blechdach war eingefallen, die Fetzen verteilten sich mit den Feuersäulen, die der Wind vor sich hertrieb, über die ganze Umgebung. Die Polizisten forderten die Zuschauer auf, sich im Interesse der eigenen Sicherheit weiter zurückzuziehen, und sie sperrten einen weiten Bereich um den Brandort mit gelbem Band ab, damit die Feuerwehrmänner agieren konnten. Halb bekleidete Hausbewohner wurden in Bussen untergebracht, die inzwischen vorgefahren waren. Eine ziemliche Katastrophe hatte der tölpelhafte Schutzengel da wieder verursacht.
Aaro und Oskari gelangten ins Innere des abgesperrten Bereiches, als Aaro den Polizisten sagte, dass er der Verwalter des brennenden Hauses sei und helfen wolle, die Bewohner zu retten. Oskari Mättö als hilfsbereiter Freund durfte mitkommen. Die Polizisten verboten ihnen, sich an den eigentlichen Löscharbeiten zu beteiligen, und warnten sie vor herunterfallenden und brennenden Gegenständen. Jemand brachte für Aaro und Oskari Feuerwehrhelme. Zunächst schauten sie ins Büchercafé, wo sie auf Viivi Ruokonen trafen. Sie flog Aaro an den Hals und weinte. In der Hand hielt sie einen Plastikeimer voller Wasser für den Fall, dass das Feuer auf das Café und den Laden übergreifen würde. Viivi beabsichtigte, bis zum letzten Wassereimer gegen das Feuer zu kämpfen.
Nun machten sie sich auf den Weg zu Aaros Wohnung. Der Fahrstuhl funktionierte natürlich nicht mehr, er war geschlossen, und so stürmten sie im Laufschritt die Treppe hoch. Von oben ertönte eine entschlossene, herrische Frauenstimme:
»Ich verlasse mein Heim nicht und gehe nirgendwohin!«
Es war Fräulein Nuutinen. Die Feuerwehrleute und Polizisten versuchten sie zu evakuieren, aber sie wehrte sich entschieden. Sie hatte die Wohnung okkupiert und dachte nicht daran, wegen eines Feuers die einmal bezogene Stellung dem Feind zu überlassen. Aber als sie merkte, dass Aaro und Oskari gekommen waren, gab sie ihren Widerstand sofort auf. Sie schnappte sich die fertig gepackte Tasche, umarmte und küsste Aaro und willigte ein, die heiß gewordene Wohnung zu verlassen. Aaro warf einen raschen Blick hinein. Alles war wie vorher, außer dass immer noch die Sachen des Fräuleins herumlagen. Die Luft war schweißtreibend heiß und stickig. Über der Decke tobte das Feuer, das sich jederzeit ausbreiten und das ganze Haus vernichten konnte. Es war höchste Zeit, die Räume zu verlassen und auf die Straße zurückzukehren. Zuvor prüfte Aaro mit seinen Verwalterschlüsseln, ob sämtliche Wohnungen leer und nirgendwo mehr Menschen oder Haustiere zurückgeblieben waren. Eine Schildkröte und zwei kleine Kätzchen brachten er und Oskari mit hinaus, als sie auf die Straße traten. Sie reichten die Haustiere an die Frauen weiter und prüften anschließend die Situation in den Aufgängen B und C. In einer der Wohnungen lag ein halb tauber Mann mit alten Pornoheften auf dem Bett und schnarchte seelenruhig. Sie verfrachteten ihn in den auf der Straße wartenden Bus und überließen ihn der wohlwollenden Obhut der verschreckten älteren Damen.
Schutzengel Sulo Auvinen bat Gott um Vergebung für all den Mist, den er in letzter Zeit angerichtet hatte. Im tiefsten Inneren spürte er, dass er gerade jetzt wohl nicht so ohne Weiteres Gnade zu erwarten hatte.
21
DER ENGEL DES UNHEILS SCHWEBT ÜBER DER
HEISSEN BRANDSTÄTTE
O Gräuel der Verwüstung!
Die
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