Schutzengel mit ohne Flügel
Die Flammen leckten an der Terrasse, und dann griff das Feuer auf das Gebäude selbst über.
Sulo Auvinen bekam es mit der Angst zu tun. Wie hatte er nur so unbedacht sein können. Scheiß auf das Boot, jetzt musste rasch das Feuer gelöscht werden. Er drehte den Wind und zog eine Gewitterwolke über den Himmel. Es begann in Strömen zu gießen, und der Wind wehte wieder ablandig. Der sommerliche Regenschauer konnte jedoch das Feuer nicht löschen. Im Gegenteil, der auflebende Wind bewirkte lediglich, dass auch das Außenklo hinter der Veranda aufflammte wie das schönste Lagerfeuer. Ein ekelerregender Gestank breitete sich aus.
Das Boot schaukelte wieder weit draußen auf dem Meer. Die Hütte brannte lichterloh, und obwohl Aaro, Oskari und Viivi mit Eimern Wasser aus dem Meer holten und es auf das Gebäude spritzten und der Gewitterschauer die ganze Gegend durchnässte, war die Hütte nicht mehr zu retten. Nach einiger Zeit ertönte vom Festland her die Sirene der Feuerwehr. Ein Löschboot kam mit hoch aufragendem Bug angesaust. Die Feuerwehrmänner zogen einen Schlauch zur Hütte, aber es half nichts mehr, das Gebäude brannte bis auf den Steinsockel nieder. Das Boot von Viivis Vater war im Dunst der Mittsommernacht verschwunden.
Niedergeschmettert tranken die drei ihr letztes Glas Wein vor der rauchenden Ruine. Sie mussten mit den Feuerwehrleuten aufs Festland zurückkehren. Rauno Launonen stand zufrieden an Deck des Stahlbootes und blickte glücklich auf den Horizont. Am Ende war es doch noch ein verteufelt schönes Mittsommerfest geworden.
Schutzengel Sulo Auvinen vermochte sich nicht mehr in die Lüfte zu erheben, sondern schlich über die Uferfelsen und weinte, während seine Flügel über den Boden schleiften. Es war ein rührender Anblick. Der alte, wohlmeinende Engel in Tränen aufgelöst. Zum Glück konnten Viivi, Aaro und Oskari das weder sehen noch hören. Die Welt der Engel steht nur den Toten offen, nicht den Lebenden.
23
DER SCHNELLZUG AUS
KARELIEN FÄHRT IN
KOUVOLA IN DEN WALD
Am Abend von Johannis hatte sich Sulo Auvinen von seinem neuesten Missgeschick so weit erholt, dass er die Kraft fand, nach Lieksa zu fliegen, um Ritva Nuutinens Rückkehr in die Mechelininkatu zu verhindern. Es war allerdings keine leichte Aufgabe, denn das Fräulein hatte ein für alle Mal entschieden, wieder in Helsinki aufzukreuzen, besonders, da Mittsommer nun vorbei war. Die Arbeit und eine höchst wahrscheinliche Ehe in der Mechelininkatu warteten.
Und so geschah es denn, dass Fräulein Nuutinen wieder ihre Koffer packte, mit der Regionalbahn nach Joensuu fuhr und dort in den Schnellzug stieg. Denselben Wagen okkupierten zwanzig betagte deutsche Feldwebel, Sergeanten und Korporäle, die nach Finnland gekommen waren, um ihre Erinnerungen an den Lapplandkrieg und die Kämpfe um Kiestinki aufzufrischen. Die Veteranen waren achtzig Jahre oder älter, aber immer noch munter und fidel. Fräulein Nuutinen, die Deutsch sprach, dachte im Stillen, dass da ein Haufen alter Kerle beisammen saß, die immer noch ihrer fragwürdigen Heldentaten gedachten. Sie hatten dabei geholfen, Lappland zu zerstören, und sie hatten russische Kriegsgefangene entführt, um sie dann nach dem Verhör zu erschießen. Ritva Nuutinen konnte sich nicht verkneifen, die Deutschen auf diese Tatsachen anzusprechen, worauf die Alten erklärten, dass Lappland aus militärischen Gründen zerstört worden sei und dass die Nachkommen der verräterischen Waffenbrüder nicht daherkommen und ihnen etwas von Kriegsmoral erzählen sollten.
Schutzengel Sulo Auvinen flog hinter dem Zug her und grübelte, wie er es anstellen könnte, Ritva Nuutinen noch von ihrer Reise abzubringen. Es war hoffnungslos. Das Fräulein saß entschlossen in einem Wagen zweiter Klasse inmitten der deutschen Kriegsveteranen. Sie schmiedete Pläne, wie sie Aaro Korhonen veranlassen könnte, mit ihr in eine Wohnung zu ziehen, weg von Viivi aus der Caloniuksenkatu. Sulo Auvinen registrierte diese Pläne mit Entsetzen. In der Mechelininkatu standen wieder harte Konfrontationen bevor.
Natürlich hatte Sulo Auvinen nicht die Absicht, einen folgenschweren Unfall zu verursachen. Aber da sich der Schnellzug bereits Kouvola näherte und bald darauf nach Helsinki weiterfahren würde, musste irgendetwas passieren. Sulo entwickelte eine Idee, die seiner Meinung nach einfach prima war. Er müsste einfach nur in den Computer des Kreuzungsbahnhofs eindringen und dafür sorgen, dass das
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