Schutzengel mit ohne Flügel
bei einem Zugunglück umgekommener Feldwebel nach Berlin gebracht werden sollten. Begriff Aaretti denn nicht, dass dieses Frauenzimmer eine bloße Glücksritterin und Intrigantin war, die unter fadenscheinigen Vorwänden das Büchercafé und die Wohnung in der obersten Etage an sich zu reißen versuchte? Ein richtiger Mann mit klaren Zielvorstellungen würde nie erlauben, dass sich eine verblühte, hergelaufene Lehrerin in sein Leben einmischte.
»So einem Schlappschwanz werde ich keine Kinder gebären, da kannst du mal ganz sicher sein.«
Wenn Fräulein Nuutinen den Transport der toten Deutschen begleiten würde, dann würde Viivi das Büchercafé schließen und ebenfalls nach Berlin fahren. Sie erklärte, sie würde im selben Leichenwagen wie Aaretti sitzen, Oskari könnte im anderen Wagen Fräulein Nuutinens Gesellschaft und ihr aufdringliches Parfüm ertragen.
»Wir werden also zu sechst unterwegs sein, zwei Tote, zwei Männer, zwei Frauen, in dieser Reihenfolge«, sinnierte Aaro Korhonen.
»Du bist ziemlich alt für mich, ich werde garantiert irgendwann Witwe … Das hat allerdings den Vorteil, dass ich mich nicht scheiden lassen muss, damit wird es für uns beide billiger«, rechnete Viivi ihm vor.
Aaro sagte, dass er einen seltsamen inneren Zwang verspüre, Fräulein Nuutinen irgendwie zu akzeptieren, er könne sich das selbst nicht erklären.
Viivi diskutierte nicht weiter über Fräulein Nuutinen und innere Zwänge, sondern plante die mögliche Ehe und deren Ende durch Aaros altersbedingten Tod.
»Ich verspreche dir, dass ich, nachdem ich verwitwet bin, zwei Jahre Trauerzeit einhalte und erst dann erneut heirate. Du begreifst sicher, dass die Kinder einen Vater brauchen, besonders nachdem du tot bist.«
Aaro Korhonen fand, dass auch ein Jahr Trauerzeit vollauf genügte. Das Thema würde nicht zum Streit zwischen ihnen führen, jedenfalls nicht vor der Trauung.
»Andererseits habe ich ja noch nicht mal um dich angehalten.«
»Nun, dann halte doch um die Nuutinen an, wenn du Lust hast.«
Der Wortwechsel wäre noch weitergegangen, aber er brach ab, als Oskari Mättö ins Café gestiefelt kam. Er erzählte, dass es in ein paar Tagen nach Berlin ginge, Fräulein Nuutinen hatte die Tour mit Lindell vereinbart. Die deutschen Leichen wären bereits übermorgen abholbereit, die Obduktionen waren abgeschlossen. Die Zinksärge standen in Töölö bereit, waren gewaschen und desinfiziert, die Deckelfenster poliert. Ein deutsches Bestattungsinstitut würde die Leichen in Berlin übernehmen. Die Kosten für die Reise trüge die Eisenbahndirektion. Die Tour wäre ein echtes Schnäppchen, hatte sich Lindell gefreut, denn auch die Toten hatten eine Reiseversicherung, in diesem Falle für ihre letzte Reise. Wenn möglich, sollte Oskari eine Fuhre für die Rücktour besorgen, denn es war unrentabel, die beiden teuren Autos leer nach Finnland fahren zu lassen. Allerdings konnte es nicht endlos mit dem Transport von Importleichen weitergehen, denn jetzt nach Mittsommer gab es auch zu Hause viele Tote, eine besonders gute Ausbeute an Ertrunkenen kündigte sich für den Sommer an.
»In der Julihitze ertrinken in Finnland mehr Menschen als in allen anderen nordischen Ländern zusammen.«
Lindell hatte angeordnet, dass die zu Mittsommer angefallenen Toten noch vor der Deutschlandreise beerdigt werden sollten, erst danach galt die Devise: rein mit den Deutschen ins Auto und rauf auf die Fähre Hanko-Rostock.
Schutzengel Sulo Auvinen hatte sich bereits von seiner Depression nach dem Zugunglück erholt. Unfälle gibt es immer, was kann ein lebloser Engel dagegen machen, dachte er und freute sich andererseits schon auf die bald beginnende Deutschlandtour. Er war als Student auf einer Stipendienreise in Wittenberg gewesen, wo Martin Luther seinerzeit die Reformierung des christlichen Glaubens von den Bestechungsgeldern, die die Kirche in Form des Ablasshandels kassiert hatte, in die Wege leitete. Als junger Theologiestudent hatte Sulo eine Untersuchung über die Bedeutung von Luthers Ess- und Trinkgewohnheiten für den Verlauf der Reformation verfasst. Jetzt also hoffte er, dass ihm neben seiner normalen Schutztätigkeit Zeit bliebe, von Berlin nach Wittenberg zu fliegen und die alten Erinnerungen aufzufrischen.
Die Autofähre Superfast verkehrte mehrmals pro Woche zwischen Hanko und Rostock. Rauno Launonen fand sich rechtzeitig vor der Abfahrt in Hanko ein. Der Teufel platzierte sich auf dem Treppenabsatz unterhalb des
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