Schutzengel mit ohne Flügel
Inzwischen hatte Viivi den Tisch gedeckt und das Bier in den Kühlschrank gestellt. Aaro und Oskari holten Saunawasser aus dem Meer. Viivi machte die Betten. Von der gegenüberliegenden Insel, einem städtischen Erholungsgebiet, klangen der Gesang von Frauen und Akkordeonspiel herüber. Zu diesem Zeitpunkt brüllte noch niemand besoffen herum. Die Stimmung war richtig angenehm. Man öffnete die Bierflaschen, saunierte und ging baden, und dann wurde gegessen.
Hier und dort flammten Lagerfeuer auf den Schären auf. Der kräftige Wind hatte sich ein wenig gelegt, er blies von Rääveliholm weg aufs Meer, sodass auch Aaro, Oskari und Viivi beschlossen, ihr Lagerfeuer anzuzünden. Oskari kam auf die Idee, den Benzinkanister aus dem Boot zu holen, er goss zwei Liter als Zündflüssigkeit auf das Holz, dann brachte er den Kanister wieder zurück.
Sulo Auvinen betrachtete die drei glücklichen Menschen wohlgefällig. So manierlich hätte auch er Mittsommer gefeiert. Ein wenig Bier nach der Sauna, und jetzt, da das Lagerfeuer angezündet wurde, war es Zeit, den guten Jahrgangswein zu probieren, den Viivi von Aaros Geld besorgt hatte. Viivi hatte die Verkäuferin gefragt, welchen Wein sie für die Feier in den Schären empfehlen würde. Die hatte einen argentinischen Rotwein angepriesen, der ihrer Meinung nach gut mit der Saunawurst harmonierte.
Viivi hatte sich dem Urteil angeschlossen und las die entsprechende Seite aus dem Weinkatalog, den ihr die Verkäuferin gegeben hatte, vor:
Luigi Bosca Cabernet Sauvignon 2000, Mendoza. Komplexes und elegantes Aroma, bei dem Cassis und Tabak auszumachen sind. Der kultivierte Geschmack ist ebenfalls ausgewogen und sorgt für ein fruchtiges Gefühl im Mund. Das harmonische Ganze wird strukturiert von den eleganten, reifen Gerbsäuren. Der Wein hinterlässt einen ungewöhnlich langen und anregenden Nachgeschmack.
Oskari Mättö sorgte für eine Steigerung, als er aus seiner Tasche drei Flaschen mit dem vielversprechenden Namen Lumo, Zauber, vom finnischen Gut Rutjanlinna zutage förderte. Als er unlängst einen verstorbenen Lohjaer Bergmann abholen sollte, war er in Lohjansaari gelandet, wo der Mann die letzten Jahre seines Lebens verbracht hatte. Und, wie nicht anders zu erwarten, hatte ihm der ortsansässige Produzent Siderberg das zauberhafte Mittsommergetränk empfohlen. Im Jahr zuvor war es sogar in der Presse bewertet worden. Oskari hatte mit den Flaschen auch eine Kopie des Zeitungsartikels bekommen:
Lumo von Rutjanlinna ist ein eleganter Beerenwein. Der Geschmack ist dunkel, beerig frisch, jedoch nicht schwer. Der Abgang ist nobel, der Wein passt zu Wildgerichten, kann aber auch in geselliger Runde genossen werden. Der Duft ist überraschend aromatisch.
Fröhlich knisternd entzündete sich der Holzstoß, heiße Flammen erhoben sich hoch in den Himmel. Die Feiernden prosteten sich zu. Das Mittsommerfest war auf dem Höhepunkt.
Die drei blickten aufs Meer, ein sanfter Wind ließ kleine Wellen an den Steg und die Ufersteine plätschern. In der zunehmenden Dämmerung leuchteten Dutzende von Lagerfeuern, große und kleinere, über das Meer hallte wehmütiger Gesang. Auch Finnen können gefühlvoll und kultiviert feiern.
Nach Meinung des Teufels war die Stimmung zu harmonisch geworden. Launonen ging an den Steg, und in Ermangelung einer anderen Beschäftigung knotete er das Seil los und versetzte dem Boot einen Fußtritt. Das Boot glitt aufs Meer hinaus. Der Teufel beobachtete zufrieden, wie es sich immer weiter vom Ufer entfernte. Es befand sich schon sehr weit draußen, als Oskari Mättö endlich das Missgeschick bemerkte.
»Verflucht! Das Boot ist abgehauen!«
Aaro Korhonen riss sich die Kleider vom Leib.
»Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir es nicht zurückholen! «
Schutzengel Sulo Auvinen indes beschloss, das Problem auf seine Weise zu lösen. Er ließ den Wind aus der Gegenrichtung blasen, sodass das Boot stoppte und langsam wieder zurücktrieb. Der Windstoß überraschte die drei Menschen am Strand. Alles bestens. Aaro zog sich wieder an. Mit Hurrarufen begrüßten sie den näher kommenden Ausreißer. Der Schutzengel war darüber so erfreut, dass er die Kraft des Windes verstärkte. Genau das hätte er nicht tun dürfen. Das lodernde Lagerfeuer bekam Auftrieb und brannte immer fröhlicher. Jetzt, da der Wind vom Meer her wehte, entzündete sich zuerst das staubtrockene Gras, bald folgten die Campingmöbel und danach das Außengeländer.
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