Schutzengel mit ohne Flügel
pfiff.
Sulo Auvinen startete einen weiteren Versuch und nahm Kontakt zum Rektor von Fräulein Nuutinens Schule auf. Der rief die Lehrerin an und bat sie, ihren Urlaub für ein paar Wochen zu unterbrechen. Es gab furchtbar viel Arbeit mit den neuen Lehrplänen, und auch die anstehende Reparatur der Klimaanlage musste geplant werden. Aber Fräulein Nuutinen lehnte die Bitte ab und sagte, dass sie erwäge, endgültig in die Hauptstadt umzuziehen. Sie habe genug von der Erziehung disziplinloser Bälger, sie wolle auf jeden Fall ein Sabbatjahr einlegen und sich als Leiterin eines Antiquitätengeschäfts betätigen.
12
WECHSELNDE WINDE ZU MITTSOMMER
Als der Onkel aus dem Boot in den See fiel, war es bereits der Vorabend zum Mittsommer. Zur selben Zeit bereitete man sich in Helsinki in Aarettis antiquarischem Büchercafé darauf vor, dieses größte Fest des Sommers feierlich zu begehen. Viivi Ruokonen machte im Café die belegten Brote fertig, Oskari Mättö besorgte einen Kasten Bier und mehrere Flaschen Wein. Aaro Korhonen trug alles in Lindells Leichenwagen, mit dem sie zum Strand von Hietalahti fahren wollten, wo das Boot von Viivis Vater lag. Aaro hatte eine kleine Hütte auf der Insel Rääveliholm gemietet, die in Espoos Schärengarten lag und auf der einst in alten Zeiten estnische Robbenfänger gehaust hatten. Aaro warf die Frage auf, ob man Fräulein Nuutinen in Lieksa über den geplanten Inselausflug informieren sollte, aber Viivi fand das unnötig. Mochte das Weibstück am Pielisjärvi feiern, bis sie platzte, sie, Viivi, wollte mit diesem aufdringlichen Frauenzimmer das schönste Fest des Sommers nicht in derselben Hütte verbringen. Auch Oskari war der Meinung, dass in der kleinen Hütte nicht mehr als drei Personen wirklich Platz hätten, und selbst dann musste einer schon auf dem Fußboden schlafen.
Als sie den Proviant und das übrige Gepäck in dem kleinen offenen Boot von Viivis Vater verstaut hatten, fuhr Aaro den Leichenwagen nach Töölö und stellte ihn in der Garage des Bestattungsinstituts Lindell ab, dann kehrte er mit dem Taxi ans Ufer zurück, wo Oskari und Viivi bereits den Bootsmotor gestartet hatten und dabei waren, die Seekarten zu studieren. Der Teufel Rauno Launonen hatte sich ebenfalls rechtzeitig eingefunden und sich im Bug zwischen Kühltasche und Proviantkorb niedergelassen, wobei er sorgfältig darauf achtete, dass er unsichtbar blieb.
Es war ein schöner Sommerabend, aber der Wind wehte recht kräftig. Die drei beschlossen, zunächst aufs offene Meer hinaus und dann durchs innere Fahrwasser von Lauttasaari nach Espoo zu fahren, um dort im Schutz der Inseln weiter nach Rääveliholm zu schippern. Alle freuten sich auf ein schönes Mittsommerfest, was auch sonst.
Schutzengel Sulo Auvinen war von Lieksa herbeigeeilt, um Aaro Korhonen und dessen Freunde zu beschützen. In Lieksa brauchte man ihn zurzeit nicht unbedingt. Der Engel flog über dem Boot dahin und betrachtete die schöne Meereslandschaft. Gottes Schöpfung ist wirklich herrlich, dachte er bei sich. Schade nur, dass er schon tot war, bei diesem Wetter und jetzt zu Mittsommer wäre er gern unter den Lebenden, besonders, wenn er noch ein wenig jünger wäre und sich mit dem entsprechenden Aussehen und Auftreten ein junges Mädchen angeln könnte. Na gut, der Job als Engel hatte auch einiges für sich. Man hatte keinen Hunger und keine Gelüste nach einer Frau. Man betrachtete einfach die schöne Natur und behütete seinen Schützling und dessen Freunde. Sulo wollte besonders scharf aufpassen, jetzt, wo Mittsommer war und viele Unfälle passierten. Die Begebenheit auf dem Pielisjärvi kam ihm in den Sinn. Fräulein Nuutinens Onkel war bestimmt längst erkrankt. Höchst bedauerlich, aber was hätte er, Sulo, sonst machen sollen, um das Fräulein in Lieksa festzuhalten. Er verließ sich auf Fräulein Nuutinens guten Willen und die Stärke der Familienbande. Bestimmt würde sie daheimbleiben, um ihren Verwandten zu pflegen, wenn sie nur erst erführe, dass der sich erkältet hatte, nachdem er in den See gefallen war. Jedenfalls blieb zu hoffen, dass es so ablaufen würde.
Die Hütte war wirklich klein, aber gemütlich, und da die Luft klar und warm war, beschlossen Aaro, Oskari und Viivi, ihre Mittsommerfeier auf der Terrasse zu begehen. Die Männer luden den Proviant aus und trugen ihn nach drinnen, dann machten sie sich daran, am Strand Holzabfälle für ein Lagerfeuer zu sammeln, und im Wald fanden sie Reisig.
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