Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)
der Bank greife ich zögernd zum Telefon.
«Hey, Tim, wollte noch mal kurz fragen, wann der Zug morgen geht?»
« 10 : 37 Uhr, Gleis 13 . Würde sagen, wir treffen uns da so gegen zwanzig nach. Okay? Und sag mal, deine Freundin holt uns ab, oder?»
«Ja, denke schon. Aber Grace weiß noch nicht, wann sie mit den Proben fertig ist. Klären wir morgen im Zug. Ähm, und noch was … Könntest du mir vielleicht noch mal ’nen Fuffi leihen? Bin gerade aus der Bank raus, und auf meinem Konto geht gar nichts mehr.»
«Ja, klar. Das summiert sich nur langsam ganz schön, ne?»
«Ich weiß, ich weiß. Danke. Du bekommst das Geld so schnell wie möglich wieder. Also bis morgen!»
Ich stecke das Handy zurück in die Hosentasche und fühle mich schlecht. Scheiße, so schnell wie möglich wieder? Ja, wie denn? Ich mache mich auf den Heimweg. Es ist erst kurz nach 16 Uhr, und die Straßenbeleuchtung ist schon eingeschaltet. Diese frühe Dunkelheit drückt seit Wochen auf mein Gemüt. Als ich den Briefkasten im Hausflur aufschließe, purzelt mir ein Stapel Papier entgegen und landet auf dem von Schneematsch total verdreckten Boden. Nachdem ich die Werbung weggeschmissen habe, halte ich zwei Briefe in den Händen. Der eine ist vom Amtsgericht Euskirchen und der andere von meiner Bank. Na toll, auch das noch!
Am Schreibtisch öffne ich zuerst den Brief des Amtsgerichts. Ich überfliege den Text, und mich überkommt Übelkeit. Langsam rutsche ich in meinen Stuhl.
Mahnbescheid. Hauptforderung: Versicherungsbeitrag vom 01 . 08 – 01 . 12 .
Antragsteller: Central Krankenversicherung AG .
Oh fuck. Die Krankenversicherung. Das hatte ich völlig verdrängt. Fünf Monatsbeiträge offen, wie soll ich das bezahlen? Ich hole mir ein Bier. Alles in mir sträubt sich, den zweiten Brief zu öffnen. Aber was nutzt es? Mir wird mitgeteilt:
Nicht nur im Fußball ist Fairplay angesagt.
Auf Ihrem Girokonto 6 543 899 , sehr geehrter Herr Grünke, geht seit Wochen kein Geld mehr ein. Wann und wie wird die Rückführung des Sollsaldos von z.Zt. 1978 , 09 Euro erfolgen? Ich bitte um eine zeitnahe Antwort.
Freundlich grüßt Sie
Ursula Lemming
Ich bewege mich schwerfällig zum Kühlschrank und öffne ein weiteres Bier. Ich reiße das Fenster auf und brülle auf die Straße: «So kalt ist es doch gar nicht, was?»
Seitdem ich gestern Abend die beiden Briefe gelesen habe, bin ich wie betäubt. Ich fühle mich ohnmächtig. Vielleicht werde ich das schneller bereuen, als mir lieb ist, aber im Moment bin ich mir fast sicher: Ich werde ihn probieren, diesen Job auf dem Bau.
Ich wische mit der Hand über die beschlagene Fensterscheibe des Zuges, um die dahinfließende Landschaft zu sehen. Wie konnte ich nur in diese Lage kommen? Katrin kenne ich schon seit über zehn Jahren. Wir haben gemeinsam in Amsterdam Kunst studiert. Sie fand direkt nach dem Studium eine Galerie und ging nach Berlin. Ich hatte zunächst weniger Glück und arbeitete mal hier, mal da, nie länger als einige Monate. Nach einer ausgedehnten Asienreise, die meine letzten Geldreserven verschlungen hatte, schien sich das Blatt zu wenden.
In Berlin war ein lukrativer Job als Kurator in Aussicht, aber die Ausstellung wurde im letzten Moment gestrichen. Da war ich natürlich schon von Bangkok an die Spree geflogen. Statt in einer eigenen Altbauwohnung in Mitte landete ich nun bei meinem Bruder auf der Couch in Kreuzberg. Das war zwar für die erste Zeit ganz lustig, aber natürlich kein tragbarer Zustand.
Seit ich in Berlin war, hatte ich wieder mehr Kontakt mit Katrin. Wir liefen uns häufig bei Ausstellungseröffnungen über den Weg. In der letzten Zeit hatte ich sie allerdings etwas aus den Augen verloren. Sie hatte bereits bescheidenen Erfolg als Künstlerin, und ihre eigene Vernissage ist auch der Grund, warum sie jetzt nicht mit uns im Zug nach Amsterdam sitzt, wo wir mit alten Freunden Silvester feiern werden.
Während draußen Spandau vorbeirauscht, nippt Tim an seinem Kaffee.
«Hast du Katrin eigentlich schon erreicht wegen dieses Jobs?»
«Nein, Mailbox. Ich versuch’s gleich noch mal.»
Die Luft vor dem Fenster scheint zu gefrieren. Ich sehe kein einziges Tier auf den Wiesen und Feldern, die geräuschlos an uns vorbeigleiten. Zwischen Vinzelberg und Gardelegen wähle ich wieder Katrins Nummer. Diesmal ertönt ein Freizeichen.
«Ja?», krächzt ihre Stimme am anderen Ende.
«Katrin, sorry, habe ich dich geweckt? Wollte dir nur kurz
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