Schutzlos: Thriller (German Edition)
Ihnen zum Vorschein.«
32
Frank Loving sah jünger aus, als ich nach DuBois’ Angaben erwartet hatte. Er wurde vorzeitig kahl, war hoch gewachsen und in der guten körperlichen Verfassung, in der die meisten Mediziner seines Alters zu sein scheinen.
Er war außerdem sehr nervös. Verständlich, wenn man bedachte, dass sein mörderischer Cousin gerade zu Besuch gewesen war – und ein halbes Dutzend bewaffnete FBI-Agenten jeden Winkel seines Domizils durchsucht hatte.
Er wohnte in einem luxuriösen Stadthaus in Arlington, einem jener Vierhundert-Quadratmeter-Schuppen mit Säulen, Bögen und Rokokoverzierung, alles vorgefertigt und in wenigen geschäftigen Wochen zusammengeschraubt. Die Wände, an denen man Leinwanddrucke von geschossenen Fasanen, von Venedig oder mittelalterliche Stillleben erwartet hätte, waren unpassenderweise von Sportpostern bedeckt. Die Redskins hauptsächlich – was sonst in dieser Gegend?
Bei einem Blick in die Küche sah ich blutige Handtücher und weggeworfene weiße und orangefarbene sterile Verpackungen von Verbänden und Einweg-Spritzen. Eine Flasche Desinfektionsmittel stand auf der Arbeitsfläche, ein orangeroter Ring davon besudelte den hellen Marmor. Frank hatte versucht, ihn abzuschrubben.
»Ich weiß nicht, wo er ist«, sagte Frank. »Ehrlich.«
Freddys taktisches Team hatte das Haus geräumt und sprach draußen mit Nachbarn, die Loving oder dessen Wagen möglicherweise gesehen hatten.
Ich bat den Arzt, mich in das karg eingerichtete Arbeitszimmer zu begleiten, und sah ihm in die Augen. »Lassen Sie mich Ihnen etwas sagen, Doktor. Vor rund einer Stunde war Ihr Cousin drauf und dran, ein sechzehnjähriges Mädchen zu entführen und zu foltern, um Informationen von ihrem Vater zu erpressen.«
Er riss die Augen auf und schien aufrichtig entsetzt darüber zu sein. »Ich wusste, dass er auf der Flucht war«, flüsterte er. »Ich war hauptsächlich geschockt, ihn am Leben zu sehen. Ich hätte jemanden anrufen sollen, sobald er gegangen war, aber … ich habe es nicht getan.«
»Warum nicht?«
»Er macht mir Angst.«
»Doktor«, sagte ich. Den Titel zu respektieren ist sehr hilfreich, wenn man mit einem Arzt spricht. Ich weiß das, weil ich ein paar von ihnen beschützt habe. »Doktor, wir brauchen hier wirklich ein wenig Hilfe.«
Der Mann verzog das Gesicht und spielte mit seiner Armbanduhr. »Ehrlich, ich weiß nicht, wo er ist. Bitte. Das müssen Sie mir glauben.«
»Ein sechzehnjähriges Mädchen«, sagte ich langsam und sah ihm in die Augen, die er gern abgewendet hätte.
Er ließ die Schultern hängen. »Was kann ich Ihnen sagen?«
»Zunächst: Wie schwer war er verwundet?«
»Schusswunde im Abdomen, fünfzehn Zentimeter über dem linken Hüftknochen. Ein Durchschuss. Ich habe ein paar kleinere Adern kauterisiert, gereinigt und genäht. Ach ja, und ein kleiner Steinsplitter steckte in seinem Oberschenkel. Ich habe ihn entfernt, die Blutgefäße kauterisiert und die Wunde ebenfalls genäht. Haben Sie ihn angeschossen?«
»Ja.«
»Um das Mädchen zu retten?«
Ich nickte.
»Geht es ihr gut?«
»Körperlich ja.« Ich ließ es einen Moment einwirken. »Ich muss ihn finden. Können Sie uns irgendetwas sagen, was uns helfen könnte? Was ist mit dem Auto?«
»Er hat nicht vor dem Haus geparkt, das weiß ich. Er ist zu Fuß von irgendwoher gekommen. Schauen Sie, Officer, ich habe die Nachrichten von den Schießereien gesehen. Ich wusste nicht, dass er es war. Er sagte, er sei ausgeraubt worden, und dieser Kerl aus South East habe auf ihn geschossen. Wenn ich gewusst hätte …«
Er log, ich sah es ihm an, aber es wirkte wie das typische improvisierte
Zurückrudern gegenüber Gesetzeshütern, nicht wie das Täuschungsmanöver eines Mitverschwörers. Alles, was ich wollte, war, dass er sich auf Lovings Besuch konzentrierte. »Was hat er noch gesagt? Überlegen Sie. Alles ist wichtig.«
Der Doktor runzelte die Stirn. »Na ja, da war eine Sache. Er wollte Lachgas für die Prozedur haben – er wollte nicht wegtreten. Aber ich hatte keins. Ich hatte etwas Propofol. Sehr kurze Wirkungsdauer – das Zeug, das man für Darmspiegelungen benutzt. Er war nicht völlig weg, aber gewissermaßen high, verstehen Sie? Ich habe wie bei allen Patienten einfach drauflos geplaudert, um ihn abzulenken. Er sagte etwas, bei dem ich mir erst nichts gedacht habe: Er sagte, dass er über die ganze Bautätigkeit in Loudoun County nicht glücklich sei. Jetzt denke ich, er war vielleicht
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