Schutzlos: Thriller (German Edition)
Aufgabe war es gewesen, alles über Lovings Schwester Marjorie in Erfahrung zu bringen. DuBois hatte sich mit der für sie typischen Tatkraft in die Sache gestürzt und regelrecht eine Biografie der Frau geschrieben, die in ihrer Zeit als Teenager viel Zeit mit ihrem Bruder verbracht hatte, ehe er sich dem Verbrechen zuwandte und die Familie mied. Ich war – fälschlicherweise, wie sich herausstellte – überzeugt gewesen, dass uns genaue Kenntnisse über seine Schwester irgendwie zu ihm hätten führen können. DuBois erfuhr von den Schüben ihrer Krebserkrankung, dem Abklingen, dem erneuten Einsetzen … und dann von ihrem tragischen Tod im Occoquan, dem Fluss, der in den Chesapeake mündete.
Nichts, was uns bei seiner Verfolgung half, aber ich hatte dennoch fasziniert DuBois’ Aufzeichnungen über die einzige Person gelesen, mit der Loving eine echte und anhaltende Verbindung gepflegt hatte.
Ich wollte mehr wissen und hoffte, das alte Haus würde etwas liefern.
Natürlich konnte es sein, dass seine Eltern, als sie von den Verbrechen ihres Sohns erfuhren, sämtliche Spuren von ihm ausgelöscht hatten. Wenn ich ein Kind wie Loving hätte, würde ich es tun?
Claire DuBois rief an. Sie hatte eine kleine Recherche gestartet und an Informationen über das Haus zusammengetragen, was sie finden konnte. Das achtzig Jahre alte Einfamilienhaus stand auf etwa achttausend Quadratmetern Grund außerhalb von Ashburn, einem weitläufigen Gebiet mit vereinzelten Stadthäusern und Einfamilienhäusern, auf halbem Weg zwischen Dulles Airport und Leesburg, einer schnell wachsenden Gegend, da sich die Pendler immer weiter von Washington D. C. fortbewegten.
Das Haus der Lovings hatte anderthalb Jahre leer gestanden. Allerdings hatte der Besitzer, dem das Anwesen offiziell übertragen worden war, gelegentlich einen Mann vorbeigeschickt, der anfallende Reparaturen erledigte und sich um den Garten kümmerte. Der Eigentümer berichtete, dass Loving sich seit Jahren nicht mehr bei ihm gemeldet hatte; allerdings war die Miete für mehr als zehn Jahre im Voraus bezahlt.
»Das haben Sie aber nicht alles auf Google gefunden«, sagte ich anerkennend zu DuBois.
»Es ist interessant. Ich habe dem Besitzer angehört, dass er sich irgendwie schuldig fühlt, obwohl er nichts Rechtswidriges getan hat. Wenn man sich irgendwie schuldig fühlt, will man irgendwie reden.«
Zehn Minuten später drosselte ich auf der kurvenreichen Asphaltstraße, auf der es keine Straßenlaternen gab, die Geschwindigkeit und schaute nach den Hausnummern. Ich bremste und hielt in einem dichten Gebüsch etwa fünfzig Meter vom Haus entfernt. Es gab sechs oder sieben Häuser in der unmittelbaren Nachbarschaft, alle ein Stück von der Straße zurückversetzt. Der Boden um mich herum war von Müll übersät, und ein Stück von einem roten Plastikbremslicht legte Zeugnis von den trügerischen Kurven und der schlechten Sicht ab.
Ich zog mein Handy hervor und rief Fredericks an.
»Haben Sie den Durchsuchungsbefehl?«, fragte ich. Es war strittig, ob wir einen brauchen würden, aber in juristischen Dingen ist es am besten, jeden Streit von vornherein zu vermeiden, und ich wollte für den Fall, dass wir hilfreiches Beweismaterial im Haus fanden, sichergehen, dass kein Anwalt es ausschließen ließ.
»Ja.«
»Wo sind Sie?«
»Etwa fünfzehn Minuten entfernt, wahrscheinlich weniger. Und Sie?«
»Eben angekommen.«
»Großer Gott, Corte, dabei hat ihr Laden gar nicht die Autos mit den schicken Blinklichtern auf dem Dach. Sie werden sich noch mal umbringen, so wie Sie fahren.«
»Ich wollte schnell sein. Ich dachte, vielleicht gibt es eine Chance, ihn hier zu finden.«
»Aber Sie haben ihn nicht gefunden.«
»Nein. Ich blicke jetzt auf das Haus«, berichtete ich. »Keine Lichter, keine Bewegung. Aber es gibt ungefähr fünfzig gute Schusspositionen ringsum im Wald. Haben Ihre Leute Infrarotsichtgeräte dabei?«
»Sicher, aber wenn es um Wald geht, lassen meist nur Rehe und Hirsche die Ausrüstung aufleuchten. Und Bambi schießt nicht aus dem Hinterhalt.«
Ich hielt den Blick aufs Haus gerichtet. »Ich gehe leise.«
Wir beendeten das Gespräch, und ich stieg aus dem Wagen. Ich holte meine kugelsichere Weste aus dem Kofferraum, schnallte sie mir an und zog einen Overall darüber, den schwarzen. Dann machte ich mich in der kühlen Herbstluft auf den Weg. Zwischen zwei breiten Eichen blieb ich stehen. Nebel waberte um das Haus, das etwa siebzig Meter von der Straße
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