Schutzlos: Thriller (German Edition)
entfernt stand. Ich konnte das Knarren und Ächzen der Insekten hören, die das Sommerende überlebt hatten. Frösche ebenfalls. Ich spürte das leichte Flattern unsichtbarer Bewegung über mir: Fledermäuse.
Ich verspürte keine Angst oder Vorahnung, aber ich wusste plötzlich, dass ich sofort meine Waffe ziehen und auf Verteidigungsbereitschaft umschalten musste. Ich zerrte mir fast die Nackenmuskulatur, als ich schnell herumfuhr und die Gestalt eines Mannes sah. Mit dem Finger am Abzug meiner Glock zielte ich. Schwer atmend lehnte ich mich an den starken, rauen Eichenstamm. Kurz darauf trennten sich die Schösslinge, die sich zum Bild des Lifters geformt hatten, im Wind wieder voneinander, und schwangen sanft zurück.
Die Gestalt eines Mannes, aber kein Mann.
Ich wandte mich wieder dem Haus zu. Das zweistöckige Landhaus mit Giebeldach war dunkelbraun gestrichen. Der Arbeiter, den der Eigentümer engagiert hatte, tat viel im Garten und zu wenig, was Holz und Farbe anging. Das Geländer hing durch, die Treppe war schief und drei der Fensterläden hingen nur noch an einer Angel. Stumpfe Farbe blätterte von den Seitenwänden. Auf der vorderen Veranda, die sich über die gesamte Breite des Hauses erstreckte, war eine Schaukel mit nur mehr einer einzigen Kette an den Balken befestigt.
Ich sah mich erneut um. Keine Spur von menschlichem Leben. Mein Blick fiel erneut auf die Veranda, und ich fragte mich, ob Loving als Junge an Sommer- und Herbstabenden in der Schaukel gesessen hatte. Und mit wem. Hinter dem kaputten Lattenzaun auf der Rückseite des Grundstücks sah ich Weide- und Ackerland. Hatte er dort kleine Wildtiere gejagt? Es gab Gerüchte, dass er als junger Mensch Tiere gequält hatte. Aber ich glaubte es nicht. Nichts deutete darauf hin, dass Loving ein Sadist war und es genoss, jemandem Schmerzen zuzufügen. Ich wusste, wenn er Schmirgelpapier und Alkohol vor einer Person bereitlegte, aus der er Informationen ziehen musste, war sein Hauptgedanke derselbe wie meiner: Was ist mein Ziel und wie erreiche ich es am effizientesten?
Ich sah auf die dunklen Fenster, von denen zwei durch Schüsse aus einem Luftgewehr oder vielleicht auch einer 22er zerbrochen waren. Nicht bewohnte Häuser wie dieses waren attraktive Ziele für jugendlichen Vandalismus. Ich wusste das von dem Haus in Woodbridge, das Peggy und ich früher besessen hatten. Zwei Türen weiter stand ein viktorianischer Bau leer, und jedes Kind in der Nachbarschaft hatte irgendwann einmal versucht, sich an den gefährlichen Ort zu schleichen. Ich war zur Stadtverwaltung gegangen, damit sie bessere Zäune aufstellen ließen, was sie dann letzten Endes auch taten.
Einmal mehr fragte ich mich, ob es die Kesslers waren oder Henry Loving, die diese Erinnerungen in mir wachriefen. Ich schob sie beiseite. Keine Ablenkungen mehr, beschloss ich.
Ich hörte, wie sich Autos näherten, auch wenn ich keine Lichter sah. Ich rief Freddy an, um ihm zu sagen, wo ich war. Wenig später stießen er und die Beamten der taktischen Teams zu mir.
»Habt ihr etwas über ein Auto bei seinem Cousin in Erfahrung gebracht?«, fragte ich Freddy.
Der altgediente Agent ließ den Blick über das Grundstück und die Umgebung streifen, genau wie seine Leute, von denen jeder einen anderen Quadranten abdeckte. »Wir haben ein paar Tropfen Blut auf einem Parkplatz etwa zwanzig Meter entfernt gefunden. Sonst nichts, was hilfreich wäre. Keine Tritt- oder Reifenspuren. Aber was soll man auch erwarten?«
Es stimmte, bei Loving würde man die Sorte von Spuren nicht finden, die einem zu seinem Versteck führten.
»Ich möchte, dass Sie sich in Bewegung setzen«, sagte ich und gestikulierte in Richtung Haus. Ich war entgegen meiner Art ungeduldig. Ich sah die taktischen Beamten an und flüsterte: »Ich habe keine Spur von irgendwem gesehen, seit ich hier bin. Vielleicht weiß Loving nicht mehr, was er seinem Cousin erzählt hat – er stand unter Drogen –, und ist zurückgekommen, um unterzutauchen oder zumindest um seine Sachen zu holen.« Ich sah sie mit ernster Miene an. »Und es könnte sein, dass er die Bemerkung bei seinem Cousin fallen ließ, damit sie uns übermittelt wird. Das Ganze könnte also eine Falle sein. Und vergessen Sie nicht, er hat einen Partner.«
Sie suchten das Gelände, die Bäume, die schwarzen Fenster des Hauses mit scharfen Augen ab. Wir teilten uns in drei Gruppen auf und rückten vor, Freddy und ich vorneweg.
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Da wir wussten, wie vorzüglich der
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