Schutzlos: Thriller (German Edition)
in gut einer halben Stunde dort eintreffen, frühestens.« In meiner Hand baumelten Wagenschlüssel. »Ich hole jetzt die Tochter der Kesslers und den Freund der Familie ab.«
Eine schmale Mondsichel erschien immer wieder zwischen
den rasch dahinziehenden Wolken. Ahorn und Eichen warfen silbrige Blätter in der steifen Brise ab, und die hohen Schierlingsstauden im Garten schwankten. Der Wind pfiff leise.
Ich sah mich auf dem Grundstück um. »Es ist jetzt ganz anders hier, da der Auftraggeber verhaftet ist und der Lifter demnächst festgenagelt wird. Man könnte es beinahe genießen.« Ich blickte auf die schwarze Maschinenpistole des Hochstaplers. Sie zeigte nicht in meine Richtung, aber falls der Mann merkte, dass ich wusste, wer er war, wäre ich tot, bevor ich mich rühren konnte.
»Das stimmt«, antwortete er. »Bis auf einen Hirsch in Selbstmordlaune, der vor einer Weile dort drüben aus dem Gebüsch gesprungen ist. Fast hätte es Wildbret zum Frühstück gegeben. Gerade habe ich ihn wieder gehört, an derselben Stelle. Die hellsten sind sie auch nicht, oder?«
»Ich glaube nicht, dass Gott sie dafür geschaffen hat.« War er misstrauisch? Ich konnte es nicht sagen. »Hören Sie, Tony«, fuhr ich fort, »wenn ich zurückkomme, möchte ich den Transport der Kesslers nach Fairfax morgen früh koordinieren. Loving wird bis dahin in Haft sein. Aber ich möchte sie für die nächsten paar Tage noch bewachen lassen, bis alles restlos aufgeklärt ist. Agent Frederick sagte, Sie würden vielleicht dazu bereit sein.« Ich improvisierte. Übertrieb ich es? Ich wusste es nicht. Eine schlechte Vorstellung würde mich das Leben kosten.
»Ja. Sir … wenn er es möchte.«
Ich lächelte. »Das heißt, Sie sind nicht allzu wild auf die Babysitter-Jobs, oder?«
Er grinste ebenfalls. »Ich freue mich, wenn ich helfen kann.«
»Das weiß ich zu schätzen.«
Ein leises Knacken drang in diesem Moment aus dem vorderen Garten.
Wir sahen uns besorgt an, drehten den Kopf dann in Richtung des Geräuschs und spähten angestrengt.
»Was, glauben Sie, war das?«, fragte ich.
»Unser Hirsch?«, flüsterte er zurück.
Ich schüttelte den Kopf. »Nicht im vorderen Teil des Gartens. Dorthin gehen sie nicht.«
Das Geräusch wiederholte sich, lauter diesmal.
Wir richteten unsere Waffen in Richtung des Krachens.
»Was zum Teufel ist das?«, fragte er.
Die Antwort erhielten wir einen Moment später, als ein weiterer Stein über das Haus segelte und in der Einfahrt landete.
»Ein Ablenkungsmanöver«, krächzte ich beunruhigt. Wir fuhren beide schnell herum – und sahen einen Mann, der eine Automatikpistole auf uns richtete. Er hatte sich lautlos von hinten an uns herangeschlichen, während wir uns zum Geräusch der Steine umgedreht hatten, die er über das Haus geschleudert hatte.
Der schlanke Mann mit dem sandfarbenen Haar trug dieselbe grüne Jacke, die er am Samstag beim Überfall auf das Haus der Kesslers und bei der Fliegenfalle getragen hatte.
»Es ist Lovings Partner!«, flüsterte ich.
»Sein …?«, setzte der Barr-Imitator zu fragen an. Doch ehe er den Satz beenden konnte, kniff der Mann in der grünen Jacke die Augen zusammen, richtete die Waffe auf mein Bein und feuerte dreimal.
Ich schrie auf und ging zu Boden.
56
Tatsächlich hatten mich die Kugeln gar nicht getroffen.
Und der Mann in der grünen Jacke war nicht Lovings Partner.
Er war Williams’ Sicherheitsexperte, ein Mann namens Jonny Pogue – der Mann, der in der Tat näher war, als ich dachte, wie Williams kichernd gemeint hatte. Pogue war direkt auf der anderen Straßenseite postiert gewesen und hatte uns seit Tagen beschattet, um sicherzustellen, dass Joanne und ihre dunklen Geheimnisse nicht in die falschen Hände fielen. Deshalb war er beim Haus der Kesslers und bei der Fliegenfalle gewesen, aber da er verdeckt arbeitete, hatte er nie Kontakt mit uns aufgenommen, und wir hatten ihn für Lovings Partner gehalten.
Kurz vorher hatten Pogue und ich am Telefon die List ausgearbeitet, die wir nun aufführten und die uns vielleicht zur Wahrheit über den Schwindler und Lovings tatsächlichen Plan führen würde.
Oder Pogue und mich das Leben kosten konnte.
Pogue kniete nieder und tat, als würde er mich sorgfältig durchsuchen; dabei wandte er dem Schwindler den Rücken zu und war vollkommen schutzlos. Doch der Mann, der ihn jederzeit hätte erschießen können, war verwirrt, weil Pogue ihn nicht beachtete. Und wurde noch weiter dadurch
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