Schutzlos: Thriller (German Edition)
versucht, sie anzurufen, war aber nur an den Anrufbeantworter geraten; vermutlich hatte sie ihr Handy ausgeschaltet, um Anrufen ihrer Schwester zu entgehen.
Dann näherte sich wieder jemand, und ich sah zu meiner Enttäuschung, dass es Andrew war – Claire DuBois hatte mir sein Bild geschickt, als ich ihn als möglichen Auftraggeber in der Kessler-Sache überprüfen ließ. Er sprach in sein Handy und schlenderte gemächlich in den Park. Er sah sich einen Moment lang um, dann setzte er sich auf eine Bank und schlug die Beine übereinander. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht genau erkennen – er war etwa zwanzig Meter entfernt –, aber er lächelte nicht, und seine Körpersprache wirkte gereizt. Er wäre ein leicht zu besiegender Gegner bei einem Brettspiel, nicht nur aufbrausend, sondern häufig auch in Gedanken woanders.
Da er als Erster gekommen war, hatte ich kaum eine Chance, mit Maree zu sprechen, es sei denn, ich konnte sie noch abfangen.
Doch auch das sollte nicht geschehen, denn genau in diesem Augenblick tauchte sie von der anderen Seite des Parks her auf. Im Gegensatz zu Andrew lächelte sie. Sie freute sich eindeutig darauf, ihn zu sehen. In ihrem Gang lag eine gewisse Leichtigkeit, und sie hatte eine Einkaufstasche von Neiman Marcus sowie
ihre Fototasche bei sich. Der mir inzwischen vertraute Rollkoffer folgte ihr wie ein Hund. Enthielt die Einkaufstasche ein Geschenk? Sie war zu ihrer unsicheren, kindlichen Rolle zurückgekehrt und bettelte darum, von diesem Mann wieder in Gnaden aufgenommen zu werden, wie bei der Nachricht, die sie auf Andrews Anrufbeantworter hinterlassen hatte. Sie war so anders in seiner Gegenwart als beispielsweise mit jemandem wie mir.
Mr. Tour Guide …
Andrew bemerkte sie und nickte ihr zu, aber er lächelte weder, noch beendete er sein Telefongespräch. Ich überlegte, ob er vielleicht einen überflüssigen Anruf gemacht hatte, nur um seine Macht zu demonstrieren. Tiere zeigen dominantes Verhalten wie dieses, aber sie tun es, um zu überleben, nicht aus Egoismus. Ich wusste, dass Andrew Maree früher schon wehgetan hatte, und ich spürte jetzt, da ich seine Missachtung sah, ebenfalls, dass er eine Gefahr für sie war, wie Joanne glaubte.
Da meine Arbeitswoche zu Ende war, hatte ich meine Glock in der verschlossenen Schreibtischschublade gelassen. Trotzdem konnte ich immer 911 wählen. Ich beobachtete aufmerksam. Prägte mir Einzelheiten ein, die wichtig sein konnten: Er trug Handschuhe, und er war ein wenig hüftsteif, wie ich zuvor bemerkt hatte. Er hatte einen großen Rucksack bei sich, der eine Waffe enthalten konnte. Er trug keine Brille. Der Mann war eindeutig fit und kräftig.
Dennoch schien Maree nichts von der Gefahr zu bemerken und freute sich erkennbar, bei ihm zu sein. Noch immer lächelnd setzte sie sich und küsste ihn auf die handyfreie Wange. Er nahm ihre Hand und ignorierte sie ansonsten noch eine kleine Weile, ehe er das Gespräch beendete. Er steckte das Handy weg und wandte sich ihr lächelnd zu. Ich konnte nicht hören, was gesprochen wurde, aber die Unterhaltung schien ganz harmlos zu sein. Er fragte wohl, wo sie in den letzten Tagen gesteckt hatte, und wie ich an seiner überraschten Miene erkannte,
erzählte sie ihm teilweise die Wahrheit. Er lachte kurz auf.
Aber egal, was vermeintlich vor sich geht, Corte, egal, wonach es aussieht, zieh keine vorschnellen Schlüsse. Bleib aufmerksam.
Sicher, Abe.
Andrews Grinsen verwandelte sich in ein verführerisches Lächeln, und er legte den Arm um sie. Er flüsterte etwas, sicherlich die Einladung, zu ihm zu gehen; ich wusste von DuBois’ Recherche, dass er nicht weit entfernt wohnte.
Das war der Moment, in dem Maree den Kopf schüttelte und seinen Arm von ihrer Schulter streifte. Sie rutschte ein Stück weg. Sie blieb einen Moment still, dann holte sie tief Luft und hielt offenbar eine Rede, ohne ihn anzusehen. Erst wirkte sie verlegen, aber dann kam sie in Schwung und blickte in sein teilnahmsloses Gesicht, während er ihre Worte aufnahm.
Er gestikulierte mit einer behandschuhten Hand und beugte sich näher zu ihr. Er sagte ein paar Worte, und Maree schüttelte den Kopf.
Sie hob die Tasche auf und holte eine gerahmte Fotografie hervor. Es war ein Stillleben, das ich im Haus der Kesslers gesehen hatte, und ich begriff jetzt, dass es wahrscheinlich ein Geschenk von ihm gewesen war. Eins seiner eigenen Fotos vielleicht. Sie gab es ihm zurück.
Interessant. Sie machte Schluss mit ihm.
Er
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