Schutzpatron: Kluftingers sechster Fall
Aber du hast ja eh erst mal beschlossen, den Vormittag über hierzubleiben. Ich schau, dass die Frau, also die Nachbarin, möglichst bald kommt.«
Gut zwanzig Minuten später öffnete Kluftinger im winzigen Hinterhof der Kriminalpolizeidirektion die Heckklappe eines nagelneuen schwarz glänzenden Audi A 4, der jüngsten Errungenschaft des Kemptener Polizei-Fuhrparks. Die Sache mit dem Schlüssel hatte schon mal problemlos geklappt, die Kollegen vom Betrug hatten eingewilligt, jedoch gleich ihren Anspruch auf den Wagen für den nächsten Tag angemeldet. Kluftinger hatte versprochen, spätestens um neun am nächsten Morgen sei das Auto wieder verfügbar. Sein Blick fiel auf eine längliche Tasche, aus der gut und gerne zehn Nummernschilder herausragten. Bei der Ermittlung erwies es sich hin und wieder als hilfreich, wenn man das Autokennzeichen wechseln konnte, deswegen hatten die Dienstwagen immer verschiedene Schilder im Kofferraum. Der Kommissar überlegte. Im Moment war ein Mindelheimer Nummernschild montiert. Ob er es gegen eines aus dem Oberallgäu austauschen sollte? Oder doch lieber ein Kemptener? Oder gar ein Münchener? Möglicherweise wurde das Gelingen seines Plans dadurch ja beeinflusst … Da kam ihm eine Idee. Er zog sein Handy aus der Tasche des Trachtensakkos und wählte Strobls Anschluss. Als der abhob, fragte Kluftinger, ob er denn wisse, woher die meisten gestohlenen Fahrzeuge stammten.
Verwundert kam von Strobl zurück: »Sag mal, ist das jetzt dein Hobby mit den Autodieben, oder was? Ich glaub, wir haben echt was anderes zu tun, findest du nicht? In einer Stunde kommt die Nachbarin vorbei. Willst du uns eigentlich dabeihaben bei der Vernehmung?«
»Ja«, antwortete Kluftinger, »freilich will ich euch dabeihaben. Aber jetzt sag halt: Sind die meisten aus dem Oberallgäu gewesen oder aus Kempten oder …«
»Herrschaft, Klufti, was weiß ich. In den Städten wird am meisten geklaut, hat der Maier gesagt, und mehr weiß ich auch nicht. Servus. Sag mal, wo bist denn du eigentlich, dass du mit dem Handy anrufst? Ich hab gedacht, du wolltest am Schreibtisch …«
»Das tut jetzt nix zur Sache, Eugen. Kommt bitte mit der Frau in mein Büro, wenn sie da ist, wir befragen sie lieber da als im Vernehmungszimmer.« Kluftinger kramte in der Kennzeichentasche und zog schließlich zwei Schilder mit der Buchstabenkombination MM-KE heraus. Nachdem sich auf diesen gleich zwei Allgäuer Städte verbanden, erschien es ihm einleuchtend, sie auszuwählen.
Kurz darauf saß er bei laufendem Motor im Wagen. Es hatte ihn zwar einige Mühe gekostet, die Funktionsweise der elektrischen Sitzverstellung zu durchschauen, das Lenkrad in eine akzeptabel hohe Position zu bringen, das Auto mit dem seltsamen Steckschlüssel per Knopfdruck zu starten und schließlich die elektronische Handbremse zu lösen, aber schließlich hatte er all diese Klippen umschifft. Ein Anflug von Stolz machte sich in ihm breit angesichts dieser Leistung. Er fuhr vom Hof, bog in die Straße ein und drehte eine Runde um den Block, um das Auto nach zwei Minuten wieder direkt vor der Direktion abzustellen, unmittelbar unter dem Halteverbotsschild, das jedoch ausdrücklich auf die Ausnahmegenehmigung für Einsatzfahrzeuge der Polizei hinwies. Er machte den Motor aus und ließ die vorderen Fenster herunter. Vorsichtshalber schloss er noch das Handschuhfach ab, in dem sich das mobile Blaulicht befand, dann verließ er den Wagen. Er blickte in den Fond, wo sich ein Pilotenkoffer mit Polizeiausrüstung befand. Kluftinger nahm ihn, steckte die übrigen Nummernschilder aus dem Kofferraum notdürftig hinein und ging noch einmal um das Fahrzeug herum. Zufrieden nickte er, als er die heruntergelassenen Scheiben sah.
Der Kommissar atmete tief durch, stieß noch ein »Jetzt derwisch i di!« aus, wandte sich schwungvoll um und rannte in Richtung Eingang. Ohne den verwunderten Blicken der Kollegen an der Pforte Aufmerksamkeit zu schenken, stürmte er die Treppe hinauf, riss die Tür zu seinem Büro auf, stellte den Koffer ab und lief zum Fenster. Er warf einen erleichterten Blick auf den schwarzen Audi. Gott sei Dank, bis jetzt war nichts passiert. Dann öffnete er das Fenster und stützte sich auf dem Rahmen auf. Nun musste er nur noch ein wenig warten, dann würden ein, zwei Männer vorbeilaufen … sich erst einmal unauffällig umsehen … wie beiläufig an dem Audi stehen bleiben … und sich dann an ihm zu schaffen machen. Dann musste Kluftinger lediglich
Weitere Kostenlose Bücher