Schutzwall
tut mir leid.«
»Danke.«
»Eine teuflische Sache.«
»Ja.«
»Ich erinnere mich noch, wie Sie sie oft in den alten Laden mitgebracht haben, als sie gerade mal so groß war« – er hielt eine Hand in Schulterhöhe, um anzudeuten, wie groß Dills tote Schwester damals gewesen war –, »zehn oder vielleicht elf damals, wie?«
»So ungefähr«, erwiderte Dill, »jedenfalls nicht viel älter.«
Levides nickte feierlich und sagte, nachdem die kurze Gedenkminute vorüber war: »Was soll’s sein?«
»Ein Bier, ein Becks, falls Sie haben.«
Levides nickte wieder, wirbelte herum, zog schwungvoll eine Flasche aus einem Kasten, riß den Verschluß ab, machte wieder eine Kehrtwendung und stellte sie zusammen mit einem geeisten Glas vor Dill hin. »Zwei Dollar«, sagte er, »und Sie schulden mir noch achtunddreißig Dollar zweiundachtzig Cents von Ihrem letzten Zettel, den Sie wohl vergessen haben, als Sie nach Washington gegangen sind – wann war das noch mal, vor zehn Jahren?«
»So ungefähr«, meinte Dill, nahm einen Fünfzigdollarschein aus seiner Brieftasche, ließ ihn über die Bar gleiten und forderte Levides auf, alles zu behalten. Levides wandte sich zur Registrierkasse, tippte den Betrag ein und kam mit dem Wechselgeld für Dill zurück. »Wie läuft es denn so?« fragte Dill.
»Immer derselbe Scheiß.«
Dill schaute sich um. »Sieht alles ganz hübsch aus.«
»Ja, wenn man eingetrockneten Dreck mag.«
»Sind die Steaks noch immer passabel?«
Levides zuckte die Achseln. »Ich hab vorgestern eins gegessen und bin noch nicht tot.« Er schaute zur Seite.
»Wer ist es gewesen?«
»Sie wissen es nicht.«
»Wen haben sie denn auf die Sache angesetzt?«
»Ich hab mit dem Chief of Detectives gesprochen«, sagte Dill, »Strucker.«
»Den kenne ich.«
»Und?«
Der Grieche zuckte die Achseln. »Smarter Bursche, nicht smart wie ein Unityp, aber ein richtig gewiefter Bulle. Ist jetzt seit mindestens fünfundzwanzig Jahren bei der Polizei; vielleicht noch länger. Hat Abendkurse in Recht belegt, hat Dale-Carnegie-Kurse in Rhetorik mitgemacht, ist in zweiter Ehe mit sehr viel Geld verheiratet, versteht gut zu leben, geht immer seriös gekleidet, kein einziger Fleck auf seiner Weste.«
»Captain Colder«, sagte Dill, »Gene Colder?«
»Ach der.«
»Genau.«
»Also, den kenne ich fast überhaupt nicht. Sie haben ihn vor ein paar Jahren aus dem Osten hierhergeholt, Kansas City oder Omaha, glaube ich, irgend so ein Ort.
Sie bauen ihn auf als den kommenden Mann, hab ich gehört.«
»Für Struckers Job?«
»Falls Strucker geht – und gerüchteweise ist zu hören, daß er auf einen anderen Posten aus ist –, könnte Colder sein Nachfolger werden. Aber er wird nicht lange auf seinem Stuhl bleiben. Bevor er seinen Sitz noch richtig angewärmt hat, wird Senkrechtstarter Colder an allen vorbeiziehen, sobald der alte Rinkler endlich doch noch seinen Abgang macht.«
»Rinkler ist noch immer Polizeichef?« Dills Tonfall verriet mehr als nur eine Spur Ungläubigkeit.
»Immer noch.«
»Das gibt’s doch nicht, das sind doch jetzt schon dreißig Jahre, mindestens dreißig!«
»Nur beinahe«, berichtigte ihn Levides, »sie haben ihm den Job zugeschanzt, als er fünfunddreißig war, und heute ist er mindestens vierundsechzig. Auf jeden Fall wird er mit fünfundsechzig gehen, das ist die Regel.«
Dill nahm einen Schluck von seinem Bier und fragte:
»Wer ist eigentlich heute Polizeireporter für die Trib? «
»Wer denn wohl«, sagte Levides, »Freddie Laffter!«
»Herrgott, ändert sich hier denn überhaupt nichts?«
Der Grieche schien eine Weile darüber nachzudenken und zuckte dann die Achseln. »Allzuviel gerade nicht, stimmt.«
»Kommt Laffter noch immer jeden Abend?«
»Punkt acht Uhr – direkt nach Redaktionsschluß.«
»Er könnte doch wohl über Colder Bescheid wissen, oder nicht?«
»Wenn überhaupt einer, dann er.« Der Grieche wandte den Blick ab, bevor er seine nächste Frage stellte. Dill erinnerte sich jetzt, daß dies eine Angewohnheit von Levides war, um seine Fragen beiläufig oder beinahe gleichgültig klingen zu lassen. »Warum sind Sie so interessiert an Colder?« fragte er mit gelangweilter Stimme.
»Weil er behauptet, daß er meine Schwester heiraten wollte.«
Jetzt sah der Grieche Dill wieder voll an und lächelte.
»Ja«, meinte er gedehnt, »das ist ein ziemlich guter Grund. Möchten Sie noch ein Bier?«
»Warum nicht«, sagte Dill.
Dill war noch mit seinem zweiten Bier
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