Schutzwall
nicht viel enthielt, was er nicht schon wußte. Er faltete die Zeitung wieder zusammen und gab sie Laffter zurück. »Sie war achtundzwanzig, nicht siebenundzwanzig«, sagte Dill.
»Mir hat man gesagt, siebenundzwanzig.«
»Sie hat heute Geburtstag. Heute wurde sie achtundzwanzig.«
»Oh.«
»Erzählen Sie mir was über Captain Colder.«
»Ihren Beinahe-Schwager.«
»Sie wissen also schon davon.«
Der alte Mann zuckte die Achseln. »Die beiden haben nicht gerade versucht, daraus ein Geheimnis zu machen.«
»Hatten sie schon ein Datum für die Hochzeit festgesetzt?«
In Laffters Blick blitzte kurz Interesse auf, und ebenso schnell war es wieder verflogen. »Er war noch nicht geschieden, also konnten sie sich nur zu ›gesellschaftlichen Anlässen‹ sehen, wie man das in der guten alten Zeit auszudrücken pflegte, die so lange, lange her ist. Aber ich glaub nicht, daß sie schon die Haushaltsaufgaben verteilt hatten, jedenfalls nicht so, daß keiner mehr daran vorbeisehen konnte.« Erneut flackerte Interesse in den blassen Augen des alten Mannes auf, doch es erlosch schnell wieder. »Sie hat Ihnen nichts über Colder erzählt, oder?«
»Nein.«
»Na ja, sie wird ihre Gründe gehabt haben.«
»Und die wären?«
»Verdammt, wie soll ich das wissen, fragen Sie doch Colder selbst.«
»Er sagte mir, er hätte geglaubt, daß sie mir alles erzählt hätte.« Das war nun nicht gerade das, was Colder wirklich geäußert hatte, doch Dill war gespannt, wie der alte Mann darauf reagieren würde.
»Er nannte sie eine Lügnerin, wie?«
»In gewisser Weise ja.«
»Das war nicht gerade nett, aber wer gibt heutzutage schon was auf Nettigkeiten!«
Laffter stürzte seinen Martini hinunter und hielt Ausschau nach Harry dem Kellner. Dill nahm seinen noch unberührten Martini und schob ihn dem Alten hinüber.
»Hier«, sagte er, »ich hab noch nicht davon getrunken.«
»Gott, wenn ich etwas absolut nicht ausstehen kann, dann ist das ein kontrollierter Säufer.«
Laffter hob sein neues Glas und brachte einen komisch gemeinten Toast aus: »Auf unseren zählebigsten Mythos – den vom versoffenen Zeitungsmann.« Er nahm einen kräftigen Zug von seinem Drink, stellte ihn dann ab, zog ein Päckchen mit filterlosen Pall Mall hervor, bot es Dill an, der ablehnend den Kopf schüttelte, und zündete sich mit seinem neuen Zippo eine Zigarette an.
»Raten Sie mal, wie lange ich schon in diesem Geschäft bin«, sagte der alte Mann.
»Hundert Jahre?«
»Am dritten September werden es fünfzig, bei Gott, genau ein halbes Jahrhundert. Ich war zweiundzwanzig, seit mehr als einem Jahr ohne Arbeit und längst runter vom College, als der alte Hartshorne mich für siebzehn Dollar fünfzig die Woche eingestellt hat – und damals bedeutete das noch eine Achtundvierzigstundenwoche. Ein Tag frei. Ich bekam den Dienstag. Wer will schon einen Dienstag, verdammt! Den gibt’s übrigens auch noch, wissen Sie.«
»Wen?«
»Hartshorne.«
Dill schüttelte den Kopf. »Das kann doch nicht wahr sein.«
Der Alte grinste. Dill bemerkte, daß er nagelneue, blendendweiße Zähne im Mund hatte. »Der geht noch jeden Morgen zu Fuß zur Arbeit, immer noch mit seinen siebenundneunzig Jahren; wackelt die Grant hinunter bis zur Fifth und nimmt dann südlich die Kurve zum Our Jack, während der Cadillac mit Old Pete hinterherschleicht, seinem Chauffeur hinterm Steuer, der jetzt auch mindestens achtzig Jahre auf dem Buckel haben muß. Siebenundneunzig, und Hartshorne kommt pünktlich jeden Morgen um acht zur Arbeit. Darum bin ich auch noch immer da. Er spricht von mir noch immer als dem ›jungen Laffter‹.«
»Was ist denn mit Jimmy junior?«
»Das ist schon eine teuflische Sache, wie? Wenn man siebenundsechzig Jahre alt ist und einen jeder noch ›Jimmy junior‹ nennt. Er ist Chefredakteur und Verlagsleiter, aber sein Alter ist noch immer Vorstandsvorsitzender und Herausgeber und besitzt zweiundsechzig Prozent der Aktien, so daß Sie zweimal raten dürfen, wer da das Sagen hat.«
Harry der Kellner kam an den Tisch und servierte die Krabbencocktails. Harry der Kellner, mit bürgerlichem Namen Harold Pond, war schwarz, vierzig Jahre alt und fett und hatte mit sechzehn seine Karriere im Presseclub als spilleriger Tellerwäscher angefangen. Er hatte sich selbst zu dem gemacht, was man getrost den vornehmsten Kellner der Stadt nennen konnte. Der Cherry Hills Golf & Country Club hatte mindestens ein dutzendmal versucht, ihn abzuwerben, doch Harry der
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