Schutzwall
der fünfziger Jahre nach Plänen eines Architekturprofessors der hiesigen Universität erbaut worden, der für seinen extremen Geschmack berüchtigt gewesen war, den er im Hinblick auf Entwürfe, Frauen und Politik unter Beweis gestellt hatte. Die Legislative dieses Bundesstaates war zwar nicht unbedingt der Auffassung, daß es sie etwas anzugehen hätte, mit welchem Weibervolk sich ein Mann umgab oder welche Art Ziegel er bevorzugte, doch sie wußte durchaus, wie eins ihrer Mitglieder sich ausdrückte, sehr genau über Politik Bescheid. Die verfassunggebenden Mitglieder wußten darüber hinaus auch noch sehr genau, daß sie keine »rosarot angehauchten Typen« an der Hochschule haben wollten, die ihre Kinder unterrichteten, also zerrten sie den Professor vor einen Unterausschuß des Abgeordnetenhauses über subversive Aktivitäten und grillten ihn gnadenlos wegen seiner verrückten politischen Theorien und, nachdem sie dessen müde geworden waren, wegen seiner Weibergeschichten und architektonischen Entwürfe.
Ein zweiundsiebzig Jahre alter Abgeordneter aus einem Wahlbezirk des Staates, der den Beinamen Little Dixie hatte, brandmarkte entrüstet die Aufstellung einer in ziemlich freier Form ausgeführten Plastik, die den geweihten Boden der Kirche würdig schmücken sollte. Er begehrte zu wissen, ob der Professor tatsächlich glaubte, daß Johannes der Täufer wirklich so ausgesehen hätte wie das, was er da vorlegte. Der Professor hatte darauf erwidert, er fände sehr wohl, daß es Johannes nicht unähnlich wäre. Sanft lächelnd hatte er dann gefragt, ob das Komitee denn inzwischen schon Spuren von Rosa im Bart des Heiligen gefunden hätte? Doch keines seiner Mitglieder begriff, worauf er hinauswollte. Die Anhörung wurde kurz darauf abgeschlossen. Der Professor schrieb ein aus vier Worten bestehendes Abschiedsgesuch ( »Scheiße. Ich hör auf!« ) und ging dann an die University of California nach Berkeley, um dort zu unterrichten. Die Baptisten machten sich dann daran, die Kirche zu bauen, die er ihnen entworfen hatte. Fast jedem war sie inzwischen sehr ans Herz gewachsen.
Dill war überrascht von der Anzahl der Autos, die den Parkplatz der Kirche füllten und draußen in zwei Reihen geparkt waren. Er zählte vierundzwanzig Polizeimotorräder – durchweg knochenbrechende Harley-Davidsons, stellte er fest, und nicht die unendlich überlegenen Kawasakis. Made in America gilt hier im Lande noch einiges, dachte er, drückte auf den Knopf, der die Trennscheibe absenkte, und fragte: »Diese Leute hier, die sind doch nicht alle zur Beerdigung meiner Schwester gekommen, oder?«
»Aber sicher doch«, sagte Sergeant Mock, »Ihre Schwester war ein Cop, Mr. Dill, und wenn Cops umgebracht werden, kommen die anderen Cops angeschwärmt. Ich hab die Liste gesehen. Die Cops kommen von überallher, sogar aus Denver und Omaha und Memphis und sogar den ganzen weiten Weg von New Orleans hierher.«
»Von wo noch?« fragte Anna Maude.
»Mal nachdenken. Dallas, Fort Worth, Houston, Amarillo, Oklahoma City, Tulsa, Kansas City, Little Rock, Santa Fe, Albuquerque und – ja richtig – dann noch der eine, der gesagt hat, er sei von Cheyenne hierher. Sie wollen ihr das letzte Geleit geben, Mr. Dill, deshalb. Sie sind alle deshalb hier.«
Es war wenige Minuten vor zehn, als Mock die Limousine auf dem Abstellplatz für die Hauptleidtragenden parkte, ausstieg und die Tür für Anna Maude und Dill öffnete. Fünfzig oder sechzig unbewaffnete Polizisten standen noch immer draußen, alle in einheitliches Rotbraun gekleidet. Aus irgendeinem Grund hatte Dill erwartet, daß sie Blau tragen würden. Er konnte spüren, wie sie einander auf ihn aufmerksam machten als den Bruder der verstorbenen Felicity Dill.
Ein geschniegelt aussehender Leutnant mit olivfarbener Haut, der sich als Lieutenant Sanchez vorstellte, brachte gewandt sein Mitgefühl zum Ausdruck und bot an, Dill und Anna Maude auf ihre Plätze zu bringen. Er steuerte sie durch die Gruppe der Polizisten ins Innere der Kirche. Es war das erste Mal, daß Dill sie von innen sah, und er war beeindruckt vom Witz des Architekten. Sie sieht wirklich wie eine echte Baptistenkirche aus, dachte er, aber wie eine, wo sie wirklich mit freudigem Lärm den Herrn lobpreisen und ungeheuren Spaß dabei haben.
Die Innenwände waren aus Granit (mit einem ganz kleinen Einschuß von Rosa), und der Stein strebte mühelos und fast beschwingt in die Höhe, als stiege er tatsächlich auf zum Ruhme des
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