Schutzwall
Fleischerhackklötze, die als Tische dienten, und allzu vieler Pflanzen. Er bestellte ein Bier und einen Cheeseburger. Der Cheeseburger erwies sich als ganz ausgezeichnet. Auch Anna Maude fand ihr Sandwich hervorragend.
Nachdem sie aufgegessen und den letzten Rest Mayonnaise von den Fingern geleckt hatte, sagte sie: »Was erwartest du denn zu finden?«
»In ihrer Garagenwohnung?«
Anna Maude nickte.
»Ich weiß nicht«, sagte er.
»Sind denn nicht die Cops schon dagewesen?«
»Doch, na klar.«
»Wonach willst du dann eigentlich noch suchen?«
»Ich suche nach einer noch so kleinen Spur von meiner Schwester«, sagte Dill. »Bislang war es ja scheinbar so, als gäbe es gar kleine.«
Das große Haus stand auf der anderen Straßenseite genau gegenüber dem Washington Park. Den Park bildete ein tief abgesunkenes Gelände von etwa zehn Hektar, das dadurch entstanden war, daß hier einst eine Ziegelgrube gewesen war. Der Ziegelton, der aus der Grube gefördert wurde, war zu dem gewöhnlichen roten Backstein verarbeitet worden, den man vor 1910 hier in der Stadt zumeist für den Hausbau verwendet hatte. Danach hatte in der Stadt ein plötzliches Wachstum eingesetzt, die Bodenpreise stiegen, und die Gegend rund um die Ziegelgrube wurde von Grundstücksspekulanten heiß umkämpft – nur, daß eben niemand in der Nachbarschaft einer Ziegelei wohnen wollte. Die Stadt gelangte schnell zu dem Entschluß, daß Fortschritt und Profit weitaus wichtiger wären als Backsteine. Sie erzwang die Stilliegung der Ziegelei und wandelte das zehn Hektar große Loch in den Washington Park um. Eben hier, im öffentlichen Schwimmbad des Parks, hatten Benjamin Dill und Jake Spivey Schwimmen gelernt.
Das alte Backsteinhaus war ein ausladender, drei Stockwerke hoher Kasten, erbaut 1914, mit breiten, überstehenden Dachkanten und einer gewaltigen überdachten Veranda. Das Sechzehn-Zimmer-Haus stand auf einem Eckgrundstück, das zur Straße hin dreißig Meter breit und sechzig Meter tief war. Der Baumbestand waren Ulmen, Hartriegel, Rubinie, zwei Aprikosenbäume und ein Birnbaum. Am hinteren Ende der Auffahrt befand sich eine zweigeschossige Remise, wo dem Vernehmen nach seine tote Schwester gelebt hatte.
Nachdem sie den Ford an der Nineteenth Street abgestellt hatten, gingen Dill und Anna Maude Singe die Auffahrt hinauf zum Haus. Dill angelte nach dem Schlüssel, den Captain Colder ihm gegeben hatte, und benutzte ihn, um die Tür im Erdgeschoß aufzuschließen. Das Treppenhaus war fensterlos, so daß sie sich in völliger Dunkelheit bewegten und Unbehagen verspürten. Dill tastete die Wände entlang, fand schließlich einen Schalter und drückte ihn nieder. Eine Vierzig-Watt-Birne verbreitete ein bläßliches Licht. Gefolgt von Anna Maude Singe stieg er die Treppen hinauf.
Am Ende der Treppe befand sich ein schmaler Absatz, kaum mehr als ein mal ein Meter zwanzig groß. Dill benutzte denselben Schlüssel auch für die zweite Tür. Es war der richtige. Er stieß die Tür auf, ging hinein, fand den Lichtschalter, legte ihn um und wußte im selben Augenblick, daß Felicity Dill tatsächlich hier gelebt hatte.
Vor allem waren die Bücher nicht zu übersehen: Beide Querwände waren damit vollgestellt, sie lagen in wohlgeordneten Stapeln auf dem Fußboden und in den tiefen Nischen der vier Fenster, die auf die Einfahrt hinaussahen. In eins der Fenster war eine Klimaanlage von General Electric eingebaut. Dill ging hin und schaltete sie ein.
Er hob eins der Bücher auf, das offenbar von einem heimischen Universitätsverlag herausgegeben war. Während er die Seiten durchblätterte, las er Anna Maude den Titel laut vor: »Die Bienenzucht Neu-Englands im neunzehnten Jahrhundert.« Im Text gab es massenhaft Unterstreichungen und Randnotizen. Dill stellte das Buch zurück und wandte sich von dem Regal ab, um das ganze Zimmer in Augenschein zu nehmen.
Nicht weit von der Stelle, an der Anna Maude Singe stand, befand sich ein ausladender Sessel mit breiten Armlehnen, daneben eine Ottomane. Eine Bogenlampe aus Messing, die auf dem Fußboden stand, war so plaziert, daß das Licht über die linke Schulter dessen fiel, der dort behaglich lesend saß. Dill erinnerte sich, daß man ihn dies schon in der Grundschule gelehrt hatte: das Leselicht sollte immer über die linke Schulter einfallen. Er hatte niemals so recht begriffen, warum, und versuchte sich zu erinnern, ob er diese erstaunliche Erkenntnis Felicity weitergegeben hatte. Er war einigermaßen
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