Schwaben-Filz
intensiver Beobachtung der Polizei stünden, um Belege für deren Verstrickung in weitere Straftaten zu sammeln.
Na wunderbar, dachte er, dann sammelt mal schön, damit Söderhofer ein Erfolgserlebnis zu vermelden hat. Wenn es schon nicht gelang, Markus Ruppich aufzuspüren, war der Gerechtigkeit wenigstens im Fall Holger Deimels Genüge getan.
Braig legte die Zeitung zurück, spurtete die Treppe nach oben. Beruflich gesehen war seine Tour nach Lübeck ein Misserfolg, da gab es nichts zu beschönigen. Patrick Stein hatte Ruppich weder bei sich aufgenommen noch ihm irgendwo einen Unterschlupf vermittelt, an diesem Tatbestand hatte er keinerlei Zweifel. Der Mann hatte ihm offen und ehrlich, wie er zu beurteilen glaubte, über die Ursachen seiner Haft – handgreifliche Belästigung einer jungen Frau im stark alkoholisierten Zustand – berichtet, ihm dann von seinem Kontakt zu Ruppich im Gefängnis und der Freundschaft, die sich daraus entwickelt hatte, erzählt.
»Wir sind Freunde«, hatte Stein betont, »ja, Freunde.«
»Und Sie haben wirklich keine Ahnung, wo er sich aufhält?«
»Nein, wirklich nicht. Mein Ehrenwort.« Er hatte die Hand gehoben, wie bei einem Schwur, ihm dabei in die Augen geblickt und langsam den Kopf geschüttelt, dann noch hinzugefügt: »Ja, Markus ist ganz schön verbittert, wie diese beiden Schweine ihn ins Unglück geritten haben.«
Also traute selbst Ruppichs Freund ihm die beiden Morde an Grobe und Robel zu, hatte Braig überlegt.
Erst kurz vor sieben am Abend hatten sie Steins kleines Haus verlassen, waren dann gemeinsam mit Grewes Frau, einer sympathischen, blonden Mittvierzigerin zu einem ausgiebigen Altstadt- und Kneipenbummel aufgebrochen, der Braig den einzigartigen Charme und die außergewöhnliche Schönheit Lübecks vor Augen geführt hatte. Pittoreske Bürgerhäuser, eines beeindruckender als das andere, urtümliche Pflastersteingassen in allen Winkeln der Stadt, schmale, von den Straßen wegführende Gänge mit lauschigen Winkeln mitten im Zentrum, Wasserläufe und Seen mit schon vor Einbruch der Dunkelheit an ihren Ufern um Lagerfeuer versammelte Jugendliche und Erwachsene, dazu eine unübersehbare Anzahl von Kneipen, Cafés, Bistros und Restaurants mit Tischen und Bänken auf belebten Plätzen ebenso wie am grünen Ufer der Trave – die Stadt hatte ihn beeindruckt wie keine andere.
Erst gegen elf Uhr am Sonntagmorgen hatte er das Hotel verlassen und war nach Hamburg gefahren, um seiner Mutter und Elisabeth Ungemach in Nienstedten auf dem Hochufer über der Elbe einen Besuch abzustatten. Dass die Tour in den Norden seine Ermittlungen nicht einen Schritt weitergebracht hatte, war ihm erst auf der Rückfahrt spät am Abend bewusst geworden. Markus Ruppichs Aufenthaltsort – nicht einen Millimeter hatte er sich ihm genähert. Und der Verbrecher selbst – hatte er inzwischen erneut zugeschlagen?
»Was ist mit Neuber? Wir haben ihn im Blick?«, hatte er sich aus dem Zug heraus bei den Kollegen erkundigt.
»Ich befinde mich keine zehn Meter von seiner Haustür entfernt«, hatte der Mann ihn beruhigt. »Er ist vor zwei Stunden gekommen.«
Sein Diensttelefon läutete genau in dem Moment, als er sein Büro betrat. Er eilte zum Schreibtisch, nahm den Hörer ab.
»Henfle ist verschwunden«, erklärte Weisshaar unvermittelt. »Seit Samstag.«
»Henfle?«
»Dieser Metzger.«
»Ein Metzger? Was habe ich mit dem zu tun?«
»Ruppich, Grobe, Robel. Irgendwie hängt er da mit drin. Behauptet jedenfalls seine Frau. Schau in die Mail-Ablage, dort ist es erklärt.«
Braig legte den Hörer zurück, schälte sich aus seiner Jacke. Der Tag fing gut an. Ein Metzger, der mit den beiden getöteten Männern und deren Mörder in Verbindung stand – auch er verschwunden.
Er hatte Schwierigkeiten, die Zusammenhänge zu begreifen, schaltete den Computer ein. Es dauerte eine Weile, bis er die Mail auf dem Bildschirm hatte. Er setzte sich auf den Bürostuhl, begann zu lesen.
Manfred Henfle, Metzgermeister und Besitzer mehrerer Filialen, hatte sich am Samstagmorgen in seinem Haus in Oettingen kurz nach acht Uhr von seiner Ehefrau und seinen beiden Töchtern verabschiedet, um eine lange geplante Geschäftsreise anzutreten. Er war dort aber, wie seine Ehefrau nach mehreren Telefonaten erfahren hatte, nie angekommen, zudem auch auf seinem Handy nicht zu erreichen. Es gebe überhaupt keinen Grund für dieses unerklärliche Verschwinden, keinen Ehekrach, kein Zerwürfnis, keine Geliebte,
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