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Schwaben-Filz

Schwaben-Filz

Titel: Schwaben-Filz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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Raums einnahm, ließ sich auf dessen eines Ende plumpsen. Seine Besucher taten es ihm gleich, bewunderten den filigran geschnitzten dunklen Schrank, der sich die Seitenwand entlangzog.
    »Was ist der Anlass?«
    Braig merkte, dass Grewe bereit war, ihm das Feld zu überlassen, stellte sich dem Mann vor. »Herr Stein, hier ist mein Ausweis. Mein Name ist Steffen Braig, ich komme vom Landeskriminalamt in Stuttgart.«
    Die dicke Gestalt warf ihm einen überraschten Blick zu. »Stuttgart?« Er schien Mühe zu haben, das Wort aus sich herauszupressen. »Aber Sie kommen nicht extra wegen mir …?«
    »Doch«, erklärte Braig, »nur wegen Ihnen.«
    Stein schluckte, versuchte, Boden zu gewinnen. »Lübeck ist einen Besuch allemal wert.«
    »Das habe ich schon bemerkt, ja. Mehr als einen Besuch.«
    »Mehr als einen, das stimmt. Aber der dicke Stein?«
    Braig konstatierte, dass sein Gesprächspartner über eine gesunde Selbsteinschätzung und Humor verfügte, beschloss, sofort zur Sache zu kommen. »Markus Ruppich«, erklärte er, die unförmige Gestalt vor sich keine Sekunde aus den Augen lassend, »wo ist er?«
    »Ruppich«, wiederholte sein Gegenüber keuchend, »Markus Ruppich?« Sein Gesichtsausdruck hatte sich dermaßen verändert, dass er kaum noch zu erkennen war. Die Stirn, die Wangen, selbst die Partie zwischen Mund und Kinn in Falten gelegt, ähnelte er einem gewaltigen, breiten Fragezeichen. Der Mann hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit Fragen nach Ruppich, das war nicht zu übersehen.
    »Sie wissen, von wem ich spreche?«
    Die Antwort kam ohne jedes Zögern. »Markus und ich sind gute Freunde. Sehr gute Freunde«, erklärte er. »Wir kennen uns aus dem Bau. Aber das wissen Sie ja, als Bullerei.« Er benutzte den Ausdruck im sachlichen Ton, ließ nicht einmal im Ansatz den Gedanken aufkommen, es könne sich um ein Schimpfwort handeln.
    »Genau. Wir müssen mit ihm sprechen. Dringend.«
    »Deshalb kommen Sie zu mir?« Die Überraschung blieb ihm ins Gesicht geschrieben.
    »Seit wann hält er sich bei Ihnen auf?«
    Stein riss den Mund weit auf, kämpfte um Luft. »Bei mir?« Er prustete kräftig, warf die Arme von sich. »Meine Herren, schauen Sie sich um.« Er wies auf die schmale Treppe, die am hinteren Ende des Raums ins nächste Stockwerk führte, keuchte laut. »Bitte, auf!«
    Braig folgte seiner Aufforderung, querte das Zimmer, stieg die Stufen hoch. Kleine, abgetretene, knarzende Stufen. Die Treppe führte mitten in den nächsten, auf zwei Seiten von schrägen Wänden gezeichneten Raum. Ein französisches Bett, ein großer Schrank, im Eck die Nasszelle mit Waschbecken und Dusche. Mehr nicht.
    »Und?«, hörte er von unten. »Haben Sie ihn?«
    Braig lief mit nach vorne gebücktem Kopf zur Nasszelle, sah das spartanische Zubehör. Eine Zahnbürste, ein Rasierapparat, ein einziges Duschgel oder Shampoo. Natürlich, das konnte getürkt sein. Jederzeit mit dem Schlimmsten rechnen. Ein gewarnter Mann ist ein doppelter Mann. Er hatte die dämlichen Sprüche seines Lateinlehrers noch in petto. Sprach das hier für einen gewarnten Mann?
    Braig lief quer durchs Zimmer, öffnete die beiden Schranktüren, spürte instinktiv, dass es hier nichts zu holen gab. Decken, Bettbezüge, Unterwäsche, Strümpfe, Hemden, Pullover, Hosen. Nein, so stark hatte ihn sein Gefühl, seine Einschätzung oder wie auch immer man diesen besonderen Sinn bezeichnen mochte, der den Erfolg der Arbeit eines Kriminalbeamten oft entscheidend beeinflusste, noch nie getrogen, als dass er nicht langsam begriff, dass Ruppich in diesem Haus nicht zu finden war. Nicht heute – aber auch nicht vor ein paar Tagen?
    Er schloss den Schrank, überflog den Raum mit einem letzten Blick, folgte der Treppe nach unten.
    »Und? Was erzählt Markus?« Stein schien ihn kritisch zu mustern. Kein Grinsen, keine Genugtuung im Gesicht, nur die fragende Mimik war verschwunden.
    »Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
    Der dicke Mann überlegte. »Im Mai«, sagte er. »Ich bin extra runtergefahren und habe ihn besucht.«
    »Im Gefängnis.«
    Stein nickte schwerfällig.
    »Vor fünf Wochen kam er frei«, sagte Braig.
    »Ich weiß. Wir haben miteinander telefoniert. Ich habe ihn eingeladen, ihm angeboten, die Fahrkarte zu schicken, damit er sie nicht zahlen muss. Komm nach Lübeck, habe ich ihm gesagt, ich suche einen Job für dich.«
    »Wann ist er gefahren?«
    »Bis jetzt überhaupt nicht. Wir wollten wieder telefonieren. Über seine Schwester in Stuttgart. Ein Vorort.

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