Schwaben-Gier
Neundorf heute Morgen etwas übersehen hatte. Kalkulationen über die Preise verschiedener Teigmischungen, Angebote von Mühlen, Bauernhöfen und Hühnerfarmen für unzählige Sorten von Mehl und Eiern. Er klickte einen Punkt nach dem anderen ab, wechselte dann die Diskette, hatte jetzt die gewaltige Palette verschiedener Kräuter- und Gewürzangebote mehrerer Gärtnereien vor sich.
Der nächste Datenträger schien ihm weit interessanter, enthielt er doch Rechnungen für Teigwaren-Lieferungen an Gaststätten, ausgestellt in den letzten Monaten des vergangenen Jahres. Braig legte den Terminplaner neben die Tastatur, verglich die Besuchsliste mit den Rechnungsbelegen, sah, dass sie komplett überein stimmten. Jeder eingetragene Besuch hatte eine Rechnungsstellung zur Folge: Beweis für die erfolgreiche Verkaufstätigkeit Marianne Kindlers. So interessant dieser Vergleich sein mochte, Braig brachte er keinen Schritt weiter. Die Besuche des Vortags ließen sich auf diesem Weg nicht ermitteln. Gerade als er sich diese enttäuschende Bilanz seiner mühsamen Arbeit eingestand, läutete das Telefon. Er sah auf die Uhr, stellte fest, dass es zwanzig vor fünf war, nahm ab.
Steffen Bockisch teilte ihm mit, dass er die Untersuchung des Todes von Marianne Kindler seitens der Staatsanwaltschaft übernommen habe. Braig freute sich über die Zusammenarbeit, weil er den Mann seit Jahren kannte und ausnahmslos gute Erfahrungen mit ihm gemacht hatte, gab dem Staatsanwalt einen detaillierten Überblick über seine Erkenntnisse und holte sich die Genehmigung zur Überprüfung der Telefonate der Ermordeten. Er hörte, dass sich Bockisch Notizen machte, verabredete sich mit ihm zur Pressekonferenz um siebzehn Uhr im großen Saal des LKA.
Marianne Kindlers Festnetz- und Handynummer zu finden, war einfach: Ordentlich, wie sie war, hatte sie die Ziffern in die Datenübersicht ihres Terminplaners eingetragen. Braig schaltete das Licht in seinem Büro ein, rief bei der zuständigen Telefongesellschaft an.
Nach kurzem Warten hatte er die verzerrte Stimme einer Computerauskunft am Ohr. »Wenn Sie eine Auskunft zu unseren Tarifen wünschen, dann wählen Sie nach dem Signalton bitte die Eins. Wollen Sie Ihre Nummer ändern, wählen Sie nach dem Signalton bitte die Zwei. Haben Sie Probleme mit Ihrem Anschluss, geben Sie nach dem Signalton bitte die Drei ein. Geht es Ihnen um eine allgemeine Auskunft, drücken Sie nach dem Signalton bitte die Vier. Wählen Sie bitte jetzt.«
Er schimpfte laut, hatte nach mehreren Versuchen und Minuten langem, von klassischen Konzertklängen untermaltem Warten eine junge Frau am Apparat, die nach mehreren Wortwechseln bekannte, in einem Callcenter in Luxemburg zu arbeiten und ihm leider nicht weiterhelfen zu können. Er brach das Gespräch ab, gab die Ziffern der anderen Gesellschaft ein, hatte auch dort keinen Erfolg. Zwei Minuten vor fünf gab Braig entnervt auf, suchte sein Material zusammen, eilte in den Konferenzraum.
Bockisch, ein großer blonder Mann um die vierzig, übernahm die Gesprächsführung. Das überaus gewaltsame Vorgehen des Mörders schien sich den gut gefüllten Besucherreihen zufolge herumgesprochen zu haben. Braig mischte sich in die Darstellung des Staatsanwaltes nicht ein, gab auf Nachfragen einiger Journalisten hin nur deutlich zu verstehen, wie wichtig es für ihre Ermittlungen war, Bescheid über Marianne Kindlers Aufenthalte am Vortag zu erhalten und deshalb dringend auf die Mitarbeit der Bevölkerung angewiesen zu sein.
Zwanzig vor sechs war er wieder in seinem Büro. Er fand ein Fax Dr. Keils in seiner Ablage, der ihm mitteilte, den abschließenden Befund der Obduktion leider noch nicht mitteilen zu können, da die Vielzahl der zugefügten Verletzungen eine außergewöhnlich langwierige Untersuchung erfordere, der er sich erst am nächsten Tag mit voller Konzentration widmen könne. Braig seufzte, lief zum Waschbecken, trank ein Glas Wasser. Als er gerade dabei war, es wieder zu füllen, läutete das Telefon. Er stellte das Glas ab, lief zum Schreibtisch, nahm das Gespräch an. Neundorf entschuldigte sich, bis zu dieser Minute mit ihrer Aussage im Gericht beschäftigt gewesen zu sein.
»Lief alles gut?«, fragte er.
»Das schon«, sagte sie, »aber es dauerte ewig. Die Rechtsanwältin nervte gewaltig. Die wollte alles doppelt und dreifach wissen. Eine spitzfindige Frage nach der anderen. Dabei änderte es nichts an der offenkundigen Schuld ihres Mandanten. Ich bin völlig
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