Schwaben-Gier
Nudeln in einem Satz mit unseren zu erwähnen ist wie der Vergleich zwischen einem Elefanten und einer Maus. Nur deshalb sind sie scheinbar konkurrenzlos billiger. Der Markt für die einheimischen Produkte ist sicher nur noch sehr klein. Vielleicht kamen Kindlers Nudelträume der Konkurrenz in die Quere.«
Braig spürte instinktiv, dass er diesen Aspekt bislang vernachlässigt hatte. Der Überlegung, Marianne Kindlers Tod gehe auf einen verschmähten Liebhaber zurück, kam zwar aufgrund der Brutalität größere Wahrscheinlichkeit zu als dem Hinweis auf eine konkurrierende Firma, außer Acht lassen durfte er diese Variante jedoch nicht vollständig. Wenn die Ermordete tatsächlich so erfolgreich für den Verkauf ihrer Produkte gesorgt und ihnen immer neue Absatzmärkte angeblich bis in Touristenhotels in Thailand verschafft hatte, war es durchaus möglich, dass das zumindest in Teilen auf Kosten von Mitbewerbern erfolgt war. Vielleicht war sie einem anderen kleinen Teigwarenproduzenten, der in einer ähnlich brisanten, womöglich gar noch heikleren wirtschaftlichen Situation war, in die Quere gekommen und dieser hatte sich in größter Not zu einem gewaltsamen Verzweiflungsakt hinreißen lassen? Er musste sich über den Zustand konkurrierender Betriebe informieren.
Braig bedankte sich bei Ann-Katrin für das hervorragende Essen, spülte die Teller, Schüsseln und Gläser ab, eilte dann zurück ins Büro.
»Vielleicht gehe ich in die Stadt«, hatte sie ihm zum Abschluss erklärt, »ich war schon lange nicht mehr bummeln.«
Erfreut hatte er sie angeschaut und dazu ermuntert, sich diese Abwechslung zu gönnen, hatte ihr versprochen, sich telefonisch zu melden und nicht allzu spät aus dem Büro heimzukommen.
5. Kapitel
Fünf Minuten vor zwei war er wieder im Amt. Er hatte nur wenig Skrupel, sich eine längere Mittagspause zu gönnen, war er doch seit Jahren weit über das erforderliche Maß hinaus allein seiner Arbeit verpflichtet, hatte Monat um Monat während brisanter Ermittlungen selbstverständlich und ohne Zögern unbezahlte Überstunden in einem Ausmaß erbracht, das jeden Tarifvertrag sprengte. Hätte er darauf bestanden, sich die unentgeltlich geleisteten Zusatzstunden in Form eines bezahlten Urlaubs vergüten zu lassen, er hätte sich den Weg ins Amt in diesem Kalenderjahr wohl sparen können. So utopisch diese Idee beamtenrechtlich war, Braig hatte sich nach langen Überlegungen dazu durchgerungen, sein Privatleben nicht länger allen beruflichen Belangen unterzuordnen – und sei es auch nur, um Ann-Katrins schwieriger Lebenssituation besser gerecht werden zu können. Sie war angesichts all der Belastungen, die seit Jahren auf sie einstürmten, von den im Polizeidienst zugezogenen lebensbedrohlichen Schussverletzungen über die daraus resultierenden mehrfach erfolglos verlaufenen Operationen bis hin zum Schicksal ihrer Mutter dringend auf besondere Zuwendung ihres Partners angewiesen – eine Aufgabe, der er wenigstens in Ansätzen nachkommen wollte. Rücksicht auf ihre Belange zu nehmen, beinhaltete das deutliche Zurückfahren seiner beruflichen Verpflichtungen – auf ein weit geringeres Maß als jene sechzehn bis achtzehn Stunden pro Tag, die er sich oft über Wochen oder gar Monate hinweg abverlangt hatte. So überzeugt er sich diesen neuen Lebensstil vorgenommen hatte, ihn in die Tat umzusetzen, erforderte jedes Mal aufs Neue ungewohnte Entschlusskraft.
Er lief zu seinem Büro, sah Stephanie Riedinger, eine hübsche junge Kollegin, die erst seit wenigen Monaten im LKA arbeitete, zum Fahrstuhl sprinten. »Wie geht’s?«, rief er ihr zu.
Sie verlangsamte ihren Schritt, drehte sich zu ihm um, blieb stehen. »Eine ekelhafte Sache«, sagte sie, um Atem ringend.
»Ein neuer Fall?«
Stephanie Riedinger wischte sich die Haare aus dem Gesicht, fuhr sich über die Stirn. »Ein Obdachloser wurde ermordet. Heute Nacht in Untertürkheim.«
»Du hast den Täter?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Noch nichts. Keine Spur. Der Mann sieht schrecklich aus. Ich weiß nicht, wer so was macht.«
Er sah, dass sie auf die Uhr schielte. »Du hast es eilig?«
»Der Staatsanwalt wartet.«
Braig wünschte ihr alles Gute für ihre Ermittlung, verabschiedete sich, lief in sein Büro. Er griff zum Telefon, wählte die Nummer eines Kollegen, der der Abteilung Wirtschaftskriminalität angehörte. Stefan Herb nahm nach kurzem Läuten ab, fragte nach seinem Wunsch. Sie kannten sich seit Jahren, hatten ab und an
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