Schwaben-Gier
Wetten. Irgendein Schwachsinn, den der Verlierer erledigen muss. Vielleicht haben die gewettet, dass Roland bei einer Niederlage morgens um fünf bei Nebel am Neckar entlang joggen muss.«
»Und was machte sein Freund dabei?«
»Na ja, wie sollte der sonst überprüfen, ob Roland die Wette einlöst?«
»Morgens um fünf joggen, weil er eine Wette verlor? Und warum haben sie mir das nicht erzählt?«
»Die kamen sich wahrscheinlich blöd vor dabei«, erwiderte Völlinger, »wie zwei pubertierende Teenies.«
»Oder es ging um etwas ganz anderes bei der angeblichen Wette.«
»Das ist möglich, ja. Vielleicht sollte einer bei Nacht in den Neckar springen und ans andere Ufer schwimmen oder das Passagierschiff entern und aufs Deck pinkeln. Zuzutrauen wäre ihnen das.«
Braig seufzte laut auf, wusste nicht, was er noch fragen sollte, bedankte sich für das Gespräch. Er nahm sich die Telefonnummern der beiden jungen Männer vor, gab die von Norbert Reusch ein. Er war sofort am Apparat.
»Hier ist Braig vom Landeskriminalamt. Wir haben heute Morgen miteinander gesprochen. In dem Polizeibus unterhalb vom Götzenturm.«
»Ach, Sie sind es. Ich warte auf einen Anruf meiner Freundin.«
»Ich will nicht lange stören. Aber inzwischen ist ja fast ein ganzer Tag vergangen und Sie hatten Zeit, darüber nachzudenken, was Sie heute Morgen gesehen haben.«
»Hat Roland sich noch nicht bei Ihnen gemeldet?«
»Roland?«
»Ja, mein Freund, Herr Bergel.«
»Nein. Bei mir nicht.«
»Das ist typisch. Dann schläft der schon wieder.« Reusch machte eine Pause, räusperte sich. »Er wollte bei Ihnen anrufen.«
»Weshalb?«
»Na ja, wir haben natürlich miteinander telefoniert. Den halben Tag. Was heute Morgen los war, meine ich. Der Kerl, der die Leiche dort ablegte und so.«
»Sie sind sich inzwischen sicher, dass der Mann, den Sie beobachtet haben, die Frau dort ablegte?«, fragte Braig.
»Das glauben Sie doch auch, oder?«
»Es kommt nicht darauf an, was ich glaube, sondern was Sie und Ihr Freund gesehen haben.«
Reusch ließ so lange mit seiner Antwort auf sich warten, bis Braig energisch nachfragte. »Was ist los? Warum erzählen Sie mir nicht, was Sie gesehen haben?«
»Also, wir sind uns beide einig, dass der Kerl tatsächlich mit der Leiche beschäftigt war, als wir kamen. Er machte an ihr rum und riss seine Hände in die Höhe, als er uns kommen hörte. Und dann sprang er auf und raste davon. Davon sind wir überzeugt.«
»Vielen Dank. Das ist schon sehr viel wert.«
»Und noch was«, setzte Reusch hinzu.
»Ja?«
»Es war ein Daimler. Ein dunkler Daimler.«
»Das Fahrzeug des Mannes?«, fragte Braig überrascht.
»Ein größerer Daimler«, bestätigte der Mann. »E- oder S-Klasse. Wir haben lange darüber gestritten. Aber ich würde sagen, wir sind uns einig. Ein größerer Daimler.«
6. Kapitel
Wenigstens ein Ansatzpunkt, der uns weiterhelfen kann, hatte Braig überlegt, als er an diesem Abend nach Hause gegangen war. Ein größerer Daimler. Natürlich gab es die wie Sand am Meer, vor allem wenn man keinerlei weitere Hinweise auf das Fahrzeug hatte, weder von der Farbe noch vom Alter, geschweige denn von der Zulassungsnummer etwas wusste. Zudem war immer noch nicht klar, ob es sich beim Fahrer dieses Wagens wirklich um den Mörder Marianne Kindlers oder nur einen zufällig an den Ablageort der Leiche geratenen unschuldigen Passanten handelte, der anonym bleiben wollte, um nicht in den Verdacht zu geraten, in irgendeiner Weise mit dem Verbrechen zu tun zu haben. Trotz dieser dürftigen Aussagekraft fühlte sich Braig von der Mitteilung des Mannes mit neuer Zuversicht beseelt, war sie doch völlig überraschend am Ende eines langen, weitgehend ergebnisarmen Tages erfolgt.
Was er mit dem Wissen oder dem dringenden Verdacht, dass es sich um einen größeren Daimler handelte, konkret anfangen sollte, war ihm im Moment noch nicht klar; eine Fahndung nach einem solchen Fahrzeug auszuschreiben, schien ihm auf jeden Fall nicht angeraten – wer sollte angesichts der Vielzahl der vorhandenen Exemplare das Heer der Besitzer überprüfen? Die Kenntnis des Wagentyps konnte ihnen dennoch helfen: Waren sie erst einmal soweit, tatverdächtige Personen einkreisen zu können, diente die Aussage Norbert Reuschs unter Umständen als entscheidender Schritt zum Erfolg.
»Dir scheint es gut zu gehen«, hatte Ann-Katrin erklärt, als er sie begrüßt und gemeinsam mit ihr den Abendtisch gedeckt hatte. »Habt ihr den Täter
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