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Schwaben-Gier

Schwaben-Gier

Titel: Schwaben-Gier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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vor wenigen Tagen aus Hamburg zurückgekehrt, hatte dort über zwei Wochen bei seiner ehemaligen Nachbarin Elisabeth Ungemach verbracht und mit ihr gemeinsam unzählige Ausflüge ins Umland unternommen. Er erinnerte sich noch genau, wie erstaunt er war, als sie ihm von diesem Plan erzählt hatte. Seine Mutter – ohne Begleitung so weit unterwegs? Er hatte sich bereit erklärt, sie zum Bahnhof zu bringen, war nach Mannheim gefahren, hatte sie eigenhändig in den Zug gesetzt. Ihren Anrufen und Karten war die Begeisterung anzumerken gewesen, die sie während ihres Ausflugs und auch noch danach gepackt hatte. »Elisabeth und ich werden uns bald wieder sehen«, hatte sie ihm erklärt, »entweder in Hamburg oder in Mannheim.« Erfreut hatte er diese Botschaft wahrgenommen, sie als weiteren Schritt einer aus eigener Initiative erfolgten Bereicherung ihres letzten Lebensabschnitts verstanden.
    Irgendwann mitten in der Nacht war er am lauten Schreien Ann-Katrins erwacht. Er hatte ihr die Hand auf die Schulter gelegt, sie sanft gestreichelt, dann ihren erstaunten Blick bemerkt.
    »Was ist los?«
    »Du hast geschrien.«
    »Geschrien? Entschuldige bitte. Ich habe geträumt.« Sie hatte gegähnt, mit müden Augen aufgeblickt.
    »Nichts Angenehmes.«
    »Nein. Ich stand mitten in einer Zelle und vor mir am Fenstergitter hing Torsten.«
    »Mein Gott, du tust mir Leid.« Er hatte sie in den Arm genommen, fest an sich gedrückt.
    »Warum?«, hatte sie gefragt. »Warum?«
    »Es gibt keine Erklärung. Nicht einmal den Ansatz dazu.« Jede Antwort auf diese Frage wurde dem Problem nicht gerecht, jedes Wort war unbefriedigend.
    Er hatte, mitten aus dem Schlaf gerissen, keine Lust gehabt, sich Gedanken über das Leid und die Aggressionen dieser Welt hinzugeben, dennoch aber im Verlauf der restlichen Stunden dieser Nacht lange über Ann-Katrins Fragen gegrübelt. Seine Freundin war nur langsam wieder zur Ruhe gekommen. Sandra Rehles und Torsten Rails Tod hatte sie so mitgenommen, dass sie selbst im Schlaf keine Erholung von der Tragik der Ereignisse fand.
    Kurz vor acht im Büro angelangt, stieß er auf Rössles Abschlussbericht über die Untersuchung von Marianne Kindlers dunkelgrünem Passat. Seine Mail unterrichtete ihn darüber, dass das Auto aufgrund winziger Faserreste, die sie an der Karrosserie aufgespürt hatten, eindeutig als das Fahrzeug identifiziert werden konnte, mit dem Miethoff in Fellbach getötet worden war.
    Braig atmete kräftig durch, fühlte sich spürbar erleichtert. Wenigstens ein kleiner Fortschritt in seinen Ermittlungen. Er hörte Neundorfs Stimme auf dem Gang, sah die Kollegin in sein Büro treten. Sie grüßte, erkundigte sich nach seinen Plänen.
    »Der Passat ist identifiziert«, sagte er, »Rössle hat Spuren von Miethoffs Kleidung entdeckt.«
    »Das klingt gut. Dann fahren wir nach Oettingen?«
    Braig stimmte ihr zu. »Vielleicht hat einer der Hundebesitzer etwas beobachtet.«
    Sie studierte sein Gesicht, runzelte die Stirn. »Dir fehlt Schlaf, ja?«
    »Sieht man es mir so deutlich an?« Er erhob sich von seinem Stuhl, lief zum Waschbecken, klatschte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Dann nahm er das Handtuch, massierte seine Wangen, die Stirn, das Kinn. »Ann-Katrin«, sagte er, »sie kommt nicht über Sandras Tod hinweg.«
    »Das kann ich nachfühlen. Alle Kollegen sind schockiert.«
    »Es lässt ihr keine Ruhe, wieso Torsten dazu fähig war.«
    »Sandra wollte die Beziehung beenden«, erklärte Neundorf, »deshalb. Die männliche Methode, Probleme zu lösen.«
    Braig hängte das Handtuch zurück, lief zu seinem Schreibtisch. »Ist das nicht etwas zu einfach gedacht?«
    »In welcher Welt lebst du? Warum seid ihr Männer so gewalttätig?«
    »Nicht alle«, erwiderte er.
    »Aber viele«, beharrte sie, »viel zu viele.«
    »Ihr werdet anders erzogen als wir. Vielleicht hat es damit zu tun.«
    Sie warf ihm einen kritischen Blick zu, fuhr sich über die Haare. »Mag sein. Wir können auf jeden Fall besser mit Problemen umgehen als ihr. Wir tauschen uns aus, sprechen darüber, reden uns den Frust von der Seele. Das befreit vom schlimmsten Druck. Ihr seid dazu unfähig, fresst alles in euch hinein und verwandelt euch in lebende Pulverfässer. Irgendwann zündet ein Funke und ihr explodiert. Und es gibt unzählige unschuldige Opfer, weil eure Fähigkeit, euch mit anderen auszutauschen, völlig verkrüppelt ist. Warum nur sind wir Frauen so dämlich, freiwillig mit euch behinderten Existenzen

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