Schwaben-Hass
ihrer warmherzigen Stimme, ihrem Charme. Er schätzte sie auf Mitte Zwanzig, hatte von ihr erfahren, dass sie erst seit wenigen Wochen von der Waiblinger Polizeidirektion zum LKA gewechselt war und hier jetzt verschiedenen Abteilungen zugeordnet wurde, um die Arbeit innerhalb des Amtes kennen zu lernen. Bis zum Wochenende war sie in der Grafik-Abteilung um Daniel Schiek tätig gewesen, hatte dabei, wie sie ihm erzählte, kurz mit ihm telefoniert.
Braig erinnerte sich sofort wieder daran. »Die angenehme Stimme«, sagte er, »vom Inhalt des Gesprächs habe ich leider keine Ahnung mehr, nur von dem bezaubernden Tonfall.«
Ann-Katrin Räuber reagierte auf das Kompliment keineswegs verlegen, hatte derlei Lob offensichtlich schon oft gehört. Braig spielte mit dem Gedanken, die junge Kollegin zum Essen einzuladen, wurde aber durch einen Anruf daran gehindert.
»Wir haben eine Massenkarambolage auf der Bundesstraße 27 bei Möhringen mit mehreren Toten und Verletzten. Die Kollegen benötigen dringend Verstärkung. Frau Räuber, würden Sie bitte sofort kommen?«
Achselzuckend nahm Braig die Anordnung zur Kenntnis, gab der Beamtin sein Bedauern über ihren Einsatz zu verstehen.
Er lief zum Waschbecken, füllte sich ein Glas Wasser, zog das letzte Brötchen aus der Tüte, die er unterwegs anstelle eines Mittagessens erstanden hatte.
Das Geständnis Luise Möcks hatte sein gesamtes Konzept, das er sich zur Lösung der komplizierten Mordserie zurechtgelegt hatte, drastisch verändert. Wenn Breidle, wie es sich jetzt eindeutig ergeben hatte, aus persönlichen Gründen getötet worden war, fiel sein Ableben damit aus dem Zusammenhang. Nicht nur für die Suche nach den Hintermännern der Morde mussten sie sich damit anders orientieren, auch die Frage nach den Motiven der Täter musste völlig neu aufgerollt werden. Den Handel mit minderjährigen Frauen anlässlich der Stationierung der Kfor-Soldaten im Kosovo und Mazedonien noch länger als Ursache der Morde an Nuhr und Gänsmantel, vielleicht auch an Litsche zu betrachten, fiel somit vollkommen flach – sie hatten die Recherchen zu diesem Problem schließlich im Schlafzimmer Hans Breidles entdeckt. Was immer es war, das Verena Litsche aufgespürt, untersucht und jetzt zu veröffentlichen geplant hatte, mit Breidles Aufzeichnungen hatte die Sache wohl nichts zu tun; es gab keinerlei Zusammenhänge zwischen dem Rundfunkmoderator und den anderen getöteten Personen. Was aber war der Inhalt der Recherchen der Tübinger Journalistin?
Steffen Braig lehnte am Waschbecken, schaute aus dem Fenster seines Büros auf die umliegenden Hänge. Sie wussten nichts, überhaupt nichts, waren soweit wie am Anfang ihrer Untersuchungen. Harry Nuhr war getötet worden, weil er in der tageszeitung die Ergebnisse einer Untersuchung Litsches veröffentlichen wollte, so seine Spekulation. Wer hatte Hasim Foca, den Mörder, bezahlt? Was sollte vertuscht, unbedingt vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen werden?
Braig kaute an seinem Brötchen, spürte seinen müden Kopf. Zwanzig vor Fünf, bald siebzehn Uhr. Er beschloss, für heute Schluss zu machen und nach Hause zu gehen, um sich zu erholen und mit seiner Mutter zu telefonieren. Als er sich umdrehte, stand Neundorf in der Tür.
»Du siehst müde aus. Willst du nicht gehen?«
Braig nickte.
»Immerhin hast du heute großen Erfolg gehabt. Herzlichen Glückwunsch!«
»Danke! Du hast dich wieder etwas eingelebt?«
Neundorf nickte, zeigte auf die Akten, die sie in der Hand hielt. »Ich habe den ganzen Mittag eure Aufschriebe studiert, verstehe jetzt erst die Zusammenhänge. Eines aber blieb mir unbegreiflich. Was sind das für Fotos, mit denen der Minister fertig gemacht werden sollte?«
»Eine widerliche Sache. Die sind alle gefälscht. Zum Glück haben wir Schiek. Daniel hat die Manipulationen in Wiesbaden beim BKA entdeckt. Du willst sie sehen?«
»Du hast sie unter Verschluss?«
Braig nickte. »Das sind Granaten. Der Minister muss böse Feinde haben.« Er lief zu seinem Aktenschrank, kramte im unteren Teil, zog dann ein Couvert heraus und reichte es seiner Kollegin.
Neundorf pfiff laut durch die Zähne, als sie die Bilder sah. »Das ist wirklich übel. So was hat nur das ekelhafteste Aas verdient. Kinderschänder.« Sie betrachtete Szene für Szene, schüttelte den Kopf. »Ihr wisst, wer das fotografiert hat?«
»Leider nicht. Daniel meinte, die Bilder seien echt, nur das Gesicht des Fahrers wurde vertauscht. Mit den Geräten
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