Schwaben-Hass
Straßenbrücke, glitt durch ein Neubauviertel ins offene Gelände.
»Wo kamen die her?«, fragte Klaus Weidmann.
Sie zuckte mit der Schulter, versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. »Die überwachen tatsächlich Winnenden, wie Sie vermuteten. Verenas Treffen mit Nuhr. Die haben dieselben Vorstellungen wie wir. Wahrscheinlich glauben sie, die Kontaktaufnahme zwischen den beiden habe nicht ohne Grund dort stattgefunden. Irgendwo in der Stadt muss Verena die Diskette deponiert haben.«
Der Journalist holte tief Luft, wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er betrachtete seine Begleiterin, verfolgte ihre Worte.
»Dann brauchten sie nur noch zu warten, bis ich in Winnenden auftauchte. Und dass sie uns jetzt auf dem Weg zum Bahnhof entdeckten, signalisiert ihnen nur eines: Wir haben das Material geholt und sind jetzt auf dem Weg zur Veröffentlichung. Und genau das versuchen sie doch seit Wochen um jeden Preis zu verhindern. Wissen Sie, was das bedeutet?«
Weidmann war rot angelaufen, hatte ihre Worte mit immer größerer Erregung verfolgt.
»Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie sie Verena und den Taxifahrer ermordeten. Mit dem einzigen Ziel, die Veröffentlichung zu verhindern. Und ich sehe sie seit Tagen mit Gift und Geifer hinter mir herjagen, um mir das Versteck der Diskette zu entlocken und mich aus dem Weg zu räumen.«
Der Journalist rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her. »Ich rufe die Polizei. Es geht nicht mehr anders.« Er zog sein Handy aus der Tasche, spürte ihre Hand.
»Damit sie mich einlochen, ja? Haben Sie die Fahndung nach mir vergessen? Für die Polizei bin immer noch ich die Mörderin Verenas, ich, verstehen Sie?«
»Ich werde es ihnen erklären, alles ganz genau …«
»Ach was!« Michaela König unterbrach ihn mitten im Satz. »Weil die gerade auf Sie und Ihre großartigen Erklärungsversuche warten, wie?« Sie winkte resigniert ab, ließ sich in den Sitz zurückfallen.
Der Zug fuhr in hohem Tempo durch einen Bahnhof, erreichte wieder offenes Gelände.
»Wir haben keine andere Chance mehr«, erklärte Weidmann, »bitte, lassen Sie mich die Polizei rufen. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, das Missverständnis aufzuklären. Sie können nicht noch länger dieses Versteckspiel treiben, es geht um Ihr Leben. Und jetzt auch – Verzeihung – um meines.«
Sie schüttelte den Kopf, antwortete nicht. Er erkannte an ihrem Gesichtsausdruck, ihrer ganzen Körperhaltung, dass sie völlig fertig war. Seit fast einer Woche war man jetzt hinter ihr her, sie konnte es nicht länger durchhalten.
Er nahm das Handy, ließ eine gespeicherte Nummer wählen, meldete sich dann. »Ich bin’s, Weidmann. Ich fürchte, wir befinden uns in großer Gefahr. Die Typen sind hinter uns her. Bitte verständigt die Polizei. Wir sind in der Stiftskirche in Backnang. B-a-c-k-n-a-n-g.« Er buchstabierte den Namen, nickte seiner Begleiterin zu. »Die Redaktion in Berlin«, sagte er, »es ist besser so.«
Sie reagierte nicht, starrte durchs Fenster. Der Zug schlug eine starke Linkskurve ein, passierte ein am Hang gelegenes Neubauviertel, fuhr unmittelbar dahinter durch einen Bahnhof. Als der Lautsprecher Backnang als nächsten Halt ankündigte, erhob sich Weidmann von seinem Platz.
»Die haben keine Chance. Der Zug ist so schnell, das schaffen die nicht. Unmöglich. Wir nehmen ein Taxi.«
Sie liefen zur Tür, rissen sie auf, kaum dass der Zug zum Stehen gekommen war. Weidmann starrte nach links und rechts, suchte den Bahnsteig nach verdächtigen Personen ab. Es herrschte nicht viel Betrieb.
Eine Gruppe junger Männer lümmelte rauchend auf der Lehne einer Bank. An einem Fahrkartenautomaten suchte eine ältere Frau kopfschüttelnd nach der richtigen Taste. Auf der anderen Seite des Bahnsteigs wartete eine S-Bahn; zwei, drei Reisende standen in den geöffneten Türen, Zigaretten in der Hand.
Der Journalist deutete nach links zur Treppe, spurtete die Stufen hoch, wartete auf Michaela König, rannte dann gemeinsam mit ihr über die schmale Brücke. Unten, auf dem Bahnhofsvorplatz, warteten mehrere Taxis. Sie sprangen zu dem Fahrzeug an der Spitze der Schlange, warfen sich ins Innere, erklärten ihr Fahrziel, baten um Eile.
»Stiftskirche?«, brummte der Fahrer. »Ha, des lohnt sich doch gar net!«
Weidmann starrte nach allen Seiten, konnte nichts Verdächtiges erkennen. Er zog seinen Geldbeutel vor, reichte dem Mann zwanzig Mark. Augenblicklich erstarb das Gebrabbel am Steuer.
Die Fahrt dauerte
Weitere Kostenlose Bücher