Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwaben-Hass

Schwaben-Hass

Titel: Schwaben-Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
Vom Netzwerk:
verbissener Miene zu ihr herunter. Offensichtlich war er zu allem bereit.
    Was tun? Wo blieb die Polizei? Jeder Bewegung, die sie vollzog, folgte augenblicklich ein Anschwellen des Lärms auf der Straße. Hatten die immer noch nicht begriffen, dass sie keineswegs bemüht war, sich umzubringen, sondern vielmehr vor dem Verfolger Schutz suchte?
    Sie robbte in halb aufrechter Haltung über das Dach, vergrößerte den Abstand zwischen sich und dem Bärtigen. Drei, vier Meter, noch ein Stück, fast bis ans andere Ende des Hauses. Sie starrte nach links, merkte, dass es nicht weiterging, neben dem Gebäude eine breite Einfahrt folgte, mindestens acht, neun Meter tief. Wenn er den Spalt übersprang und ihr folgte, gab es keinen Ausweg mehr.
    Michaela König schaute zur Seite, sah, wie der Mann jede ihrer Bewegungen registrierte. Er belauerte sie wie ein Raubtier seine Beute, wusste wohl nicht, ob er den Sprung riskieren sollte.
    Wo blieb die Polizei? Sie beobachtete den Bärtigen, der die Entfernung abschätzte, entdeckte plötzlich das Dachfenster etwa zwei Meter über sich. Vielleicht eine Chance. Sie stieß sich von ihrem Standpunkt ab, schob sich langsam in die Höhe. Die Menschenmenge kreischte, verfolgte aufgeregt ihre Bemühungen.
    Michaela König näherte sich dem Dachfenster, klammerte sich an seiner Einfassung fest, versuchte, es zu öffnen. Das Glas war fest im Blech verankert, gab keinen Zentimeter nach. Sie drückte mit ihrer schmerzenden Hand von rechts gegen den Rahmen, rüttelte daran, zerrte, versuchte es dann von links. Vergeblich. Das Fenster war fest verriegelt. Sie schaute auf, sah das Grinsen des Bärtigen. Der Mann war offensichtlich zum Sprung entschlossen.
    Ich muss die Scheibe einschlagen, wurde sie sich bewusst, mit den Schuhen dagegen treten, ohne mich zu verletzen. Sie schob sich in die Höhe, am Dachfenster vorbei, hörte, wie das Schreien unten auf der Straße verebbte. Plötzlich wurde es totenstill, nur das hysterische Kreischen einer Frau hing in der Luft.
    Michaela König hielt mitten in ihren Bewegungen inne, warf einen Blick auf den Verbrecher. Der Mann hatte sich zu voller Größe erhoben, nahm irgendwie Schwung, hing schon in der Luft. Sie stützte sich an der Einfassung des Dachfensters ab, sah, wie die große, kräftige Gestalt den schmalen Spalt überwand, dann auf ihrem Dach landete. Sein Aufprall riss mehrere Ziegel in Stücke; Scherben stoben in die Luft, nach allen Seiten, schlugen in Kaskaden unten auf der Straße auf. Der Bärtige krallte sich an dem brüchigen Material fest, rutschte, verlor den Halt, drehte sich auf dem Bauch, fluchte, brüllte, schlitterte auf den Abgrund zu.
    Als die ersten Polizeisirenen zu hören waren, hing er über der Kante.

44. Kapitel
    Steffen Braig hatte während der kurzen Fahrt keine Zeit gefunden, privat mit Ann-Katrin Räuber ins Gespräch zu kommen – zu sehr waren sie damit beschäftigt, von verschiedenen Seiten her nähere Informationen über das Geschehen in Backnang einzuholen. Die Redakteure der tageszeitung in Berlin wussten nur von dem Hilferuf Weidmanns zu berichten, sprachen darüber hinaus von der Spekulation, ihr Kollege und Frau König könnten eventuell auf die Recherchen Frau Litsches gestoßen sein, die in ihrem Blatt veröffentlicht werden sollten. Die lokale Polizeibehörde in Backnang wusste überhaupt nichts von einem Notruf, versprach jedoch, sofort bei der Stiftskirche vorbeizusehen und dann Bescheid zu geben.
    Keine fünf Minuten später, – Braig und Räuber hatten Backnang fast schon erreicht, – war Polizeiobermeister Busch wieder am Apparat, sprach nervös von einer aufregenden Verfolgungsjagd mehrerer Personen durch das Zentrum der Stadt, die ihm von mehreren Augenzeugen zugetragen worden sei. Hauptgesprächsthema Backnangs sei im Moment allerdings der Selbstmordversuch einer jungen Frau, die auf einem Dach mitten in der Stadt kauere und dabei von einer großen Menschenmenge begafft werde.
    Braig wollte das Thema schon abhaken und nach weiteren Beobachtungen fragen, als Busch beiläufig erwähnte, dass ein bärtiger Mann von einem Nachbardach aus Anstrengungen unternehme, die Frau zu retten.
    »Bärtiger Mann?« Braig brüllte so laut ins Handy, dass sich Ann-Katrin Räuber vor Schreck in die Lippe biss. Sie hatten die Sirene eingeschaltet, ließen sich von Busch genau beschreiben, wo sich das angebliche Selbstmorddrama auf dem Dach abspielte.
    Der Menschenauflauf am oberen Rand der Innenstadt war nicht zu

Weitere Kostenlose Bücher