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Schwaben-Hass

Schwaben-Hass

Titel: Schwaben-Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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niemals freiwillig aus der Hand geben würde. Nicht nach dem, was sie Verena und dem Taxifahrer angetan hatten und nicht nach all den Ängsten und Beklemmungen, die ihr von den Verbrechern in den letzten Tagen auferlegt worden waren. Wenn das Material so wichtig war, dass Kriminelle dafür das Leben unschuldiger Menschen vernichteten, musste es der Öffentlichkeit bekannt gegeben werden, jetzt, da sie es endlich entdeckt hatten. Es lag in ihrer, Michaela Königs Hand, diese Verbrecher für all ihre Untaten nicht auch noch zu belohnen.
    Sie blickte wieder zur Straße, sah die große Ansammlung von Menschen, die alle zu ihr hoch starrten. Ihre Schreie waren nicht zu überhören.
    »Nicht springen!«
    »Zurück!«
    »Wo bleibt die Polizei?«
    Das war ihre Chance, sie fühlte es impulsiv. Die Polizei. Ihr waghalsiger Ausstieg aus dem Fenster aufs Dach hatte inzwischen so viel Aufsehen erregt, dass garantiert irgendjemand die Polizei alarmiert hatte. Sollten sie sie in Gottes Namen verhaften und des Mordes an Verena und dem Taxifahrer bezichtigen, wichtig war jetzt allein, dass der Verbrecher nicht an die Diskette kam, sie das Material unter ihrer Kontrolle behielt. Sie würde warten, einfach nur warten, bis die Polizei kam. Lange konnte das sicher nicht mehr dauern.
    »Nicht springen!«
    Michaela König verharrte in ihrer unbequemen Position, versuchte, nicht mehr auf die Straße oder den dunklen Spalt vor sich zu schauen, um jedes Schwindelgefühl zu vermeiden. Plötzlich hörte sie wieder die tiefe Stimme. »Sie haben noch genau fünf Sekunden. Geben Sie mir die Diskette oder ich komme aufs Dach.«
    Sie reagierte nicht, ließ die Zeit verstreichen. Wann kommt endlich die Polizei, überlegte sie, warum dauert das so lange? War denn niemand unten dabei, der die Beamten alarmiert hatte? Wie lange sollte sie noch gezwungen sein, auf diesem schiefen, abschüssigen Dach zu verweilen?
    Plötzlich änderte sich die Situation. Die Menschen auf der Straße verstummten, ihr Schreien und Rufen verebbte, atemlose Stille machte sich breit. Aus der vor Neugier triefenden, sensationslüstern gaffenden Meute war ein konzentriert beobachtendes, das Geschehen voller Besorgnis verfolgendes Publikum geworden. Keine Stadionatmosphäre mehr, eher die angespannt-ernste Haltung intellektueller Theaterbesucher.
    Michaela König begriff zuerst nicht, was die Menschen unten auf der Straße veranlasst hatte, ihr Verhalten so seltsam zu verändern. War die Polizei etwa still und heimlich gekommen, die Verbrecher zu überraschen und ohne Blutvergießen zu überwältigen?
    Als sie das Geräusch unmittelbar hinter sich hörte, war es fast schon zu spät. Der Bärtige war auf allen Vieren aus dem Fenster aufs Dach gekrochen, hatte sie fast schon erreicht. Erschrocken nahm sie seine kräftige Gestalt wahr. Der Verbrecher robbte zu ihr herüber, streckte schon die Hand nach ihr aus, wollte sich auf sie werfen, als sie reagierte. Sie schob sich von ihm weg, – nur wenige Zentimeter bis zum Rand des Daches – konzentrierte sich auf das, was ihr als einziger Ausweg blieb. Sie musste den Spalt überwinden, den einen Meter, der als tödliche Gefahr zwischen den beiden Häusern klaffte.
    Michaela König hörte nicht den plötzlichen Aufschrei der Menschenmenge, als sie sich in die Luft schwang. Sie ruderte mit den Armen, versuchte möglichst weit vorwärtszukommen, landete mit hartem Aufprall wenige Zentimeter jenseits des Abgrunds. Ziegel splitterten unter ihren Knien, Scherben polterten übers Dach, stürzten in die Tiefe. Menschen brüllten, schrien hysterisch, schrilles Kreischen tönte von der Straße her. Sie rutschte ein Stück abwärts, schlitterte direkt auf den Abgrund zu, krallte sich an den Dachsparren fest, die ihre Knie zufällig freigelegt hatten. Weitere Ziegel zerbrachen, lösten sich aus ihrem Verbund, rutschten über den Rand des Daches, prallten mit donnernden Schlägen auf der Erde auf. Jede Scherbe, die nach unten schlitterte, jeder Aufprall auf der Straße löste mehrfaches hysterisches Brüllen aus.
    Michaela König klammerte sich auf dem Dach fest, fand endlich Halt. Ihre Beine schmerzten, der rechte Knöchel schien von Messerspitzen durchbohrt. Ihr linke Hand blutete kräftig. Sie schob die Finger in den Mund, kühle sie mit den Lippen. Wahrscheinlich hatte sie sich an einer der gesplitterten Ziegelkanten die Haut aufgerissen.
    Der Schatten des Bärtigen war plötzlich über ihr. Der Verbrecher näherte sich der Spalte, starrte mit

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