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Schwaben-Hass

Schwaben-Hass

Titel: Schwaben-Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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sich aus ihrer Umklammerung zu befreien, zog seine Beine hoch, trat nach ihr, wurde erneut von ihr gepackt, konnte sich nicht lösen.
    Braig riss sich aus seiner starren Haltung los, hörte die keuchend ausgestoßene Drohung des Mannes: »Verschwindet, oder ich bringe euch um«, sah, wie der Kerl plötzlich eine Pistole aus seiner Tasche zerrte, sie blitzschnell in die Höhe hielt und direkt auf Ann-Katrin Räuber feuerte. Der Kommissar sei wie eine Feder vom Boden geschnellt und einem Pfeil gleich auf den Verbrecher zugeflogen, beschrieben später Augenzeugen, die das Geschehen zuerst gespannt, dann voller Entsetzen und unbeschreiblichem Grauen beobachteten. Genau in dem Moment, als der Mann den ersten Schuss abfeuerte, traf Braig seinen Arm und riss ihn ein winziges Stück zur Seite; der Kriminelle geriet ins Straucheln, rutschte aus, fing sich wieder, feuerte ein zweites Mal. Braig sah Ann-Katrin Räuber umknicken und in sich zusammenfallen, hörte ihr Stöhnen, sah Blut, wurde von einer Wut, einem Zorn, einem Hass wie nie zuvor in seinem Leben gepackt. Er versuchte, Halt zu finden, riss seine Waffe hoch, feuerte aus einer Entfernung von wenigen Metern auf den Verbrecher, einen, zwei Schüsse, bis der Mann auf dem Boden lag und sich nicht mehr rührte. Der Kommissar sprang zurück, beugte sich zu Ann-Katrin Räuber nieder, fühlte ihren Puls, sah die Blutlache. »Ann-Katrin, hörst du mich?« Er brüllte so laut, dass sämtliche Außenstehenden jedes Wort wie aus einem Megafon oder einem Lautsprecher kommend deutlich verstanden, hörte voller Entsetzen ihr schmerzvolles Stöhnen.
    »Einen Arzt«, schrie Braig in die Menschenmenge, riss sein Handy hoch, gab den Notruf ein, wiederholte sein Verlangen.
    Sie lag auf dem Boden, stöhnte leise, blutete noch immer. Braig riss sich seine Jacke vom Leib, legte sie auf die Pflastersteine der Straße, drückte sie unter Ann-Katrin Räubers Körper.
    Minuten später, dem Kommissar erschienen sie wie viele Ewigkeiten, waren zwei in unmittelbarer Nachbarschaft praktizierende Mediziner zur Stelle, untersuchten die schwer verwundete Beamtin, leiteten Notmaßnahmen ein. Braig spürte das Zittern überall in seinem Körper, sah die beängstigende Szene vor sich: Ann-Katrin Räuber auf dem Boden liegend, die Ärzte um sie bemüht, dahinter die Schaufenster des Sportgeschäfts mit Heimtrainern, Fitnessgeräten, Inlineskatern, Bällen, Gewichten. Eine Szene, die ihm unwirklich und doch bekannt erschien, die er irgendwann, wenn auch in anderer Form schon einmal gesehen hatte – er wusste im Augenblick nur nicht, wo.

45. Kapitel
    Katrin Neundorf hatte die Szenerie sofort erkannt. Die verfallenen Hausfassaden, die Schlaglöcher auf den Gehwegen und den Straßen. Der Müll und der Schmutz in vielen Ecken. Dazu die Kinder, 10-, 11-, 12-Jährige, von Drogen gezeichnet, in hautenge Blusen gekleidet, mit ultrakurzen, die halben Pobacken entblößenden Höschen und hochhackigen Schuhen, zur Prostitution abgerichtet. Die verkommenen Gesichter der Bier und Alkohol schlürfenden Zuhälter. Die dicken Limousinen der Freier.
    Gerade mal neun Monate war es her, dass sie sich mit Claudia Steidle die Szene in Cheb betrachtet hatte. Claudia, die talentierte Fotografin. Von Straße zu Straße waren sie geschlichen, die Videokamera auf der Brust, in einem kleinen Rucksack verborgen, das Objektiv durch ein winziges Loch aufs Ziel gerichtet.
    »Und ich kann alle Fotos ohne jeden Einwand seitens der Polizei verwenden?«
    Neundorf hatte ihr die Garantie gegeben.
    Sie kannte Steidles Fotografie, schätzte ihre Aufnahmetechnik. Es war ihre Handschrift, eindeutig. Die genaue Dokumentation der Umgebung, die Präsentation der Verkommenheit von Zuhältern und Kunden, das Ausmaß der Verwahrlosung in der Umgebung des Straßenzugs wie den Gesichtern der Hauptakteure. Es gab keinen Zweifel, die Bilder verrieten Steidles fotografisches Genie.
    Neundorf hatte den ganzen Spätnachmittag versucht, sie zu erreichen, hatte sämtliche Kontakte durchtelefoniert, von denen sie vermutete dass sie den Weg zu ihr weisen könnten. Nach zwei Stunden vergeblicher Mühe hatte sie Steidles Mutter an der Strippe gehabt, verwahrlost und angesoffen wie eh und je.
    »Claudia? Wer soll das sein?«
    »Ihre Tochter.«
    »Meine Tochter?« Die Frau hatte laut gerülpst. »Ich habe keine Tochter.«
    »Wo ist Claudia?«
    »Ich weiß nichts von einer Claudia und erzähle auch nichts.« Neundorf war klar gewesen, wie sie die Frau anpacken

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