Schwaben-Hass
Braig, »Sie brauchen sich deswegen keine Gedanken zu machen. Ihr Wunsch war uns allen verständlich.«
Ilka Breidle stellte die Flasche auf den Tisch, setzte sich den Beamten gegenüber auf eines der schmalen Sofas, fuhr sich mit einem Tuch übers Gesicht. »Es kam zu überraschend«, hauchte sie.
Das ist fast immer so, überlegte Braig, behielt den Gedanken aber bei sich. »Ihre Schwester hat Sie bei sich aufgenommen?«, fragte er stattdessen.
Die Frau nickte zustimmend. »Luise hat mich sofort angerufen, als sie davon hörte und es mir angeboten. Es ist besser so.«
Braig wusste aus beruflicher Erfahrung, wie recht ihre Gastgeberin hatte. In Gesellschaft sein, die Nähe und Gespräche mit anderen waren unverzichtbare Helfer zur Überwindung akuter Trennungsschmerzen – sofern Raum und Gelegenheit zum zeitweisen Rückzug der betroffenen Person gegeben waren. Ilka Breidle hatte keine Kinder, soweit Braig aus den Akten hatte ersehen können, umso wertvoller schien das Angebot ihrer Schwester, sie bei sich unterzubringen.
»Die Wohnung hier ist groß genug?«, fragte er. Braig versuchte, Zeit zu gewinnen, wollte die Frau in ihrer schmerzerfüllten Situation nicht mit seelenlosen Routinefragen zum Tod ihres Mannes überfallen.
Ilka Breidle nickte zustimmend. »Meine Schwester ist Witwe. Sie lebt allein.« Sie nahm ihr Glas in die Hand, trank. Braig schloss sich ihr an.
»Der Tod Ihres Mannes kam völlig überraschend?«, erkundigte er sich dann, nachdem er das Wasser zurückgestellt hatte.
Sie schaute ihn fragend, mit großen Augen, an.
»Ich meine, Sie wissen von den Drohungen, die es gegen ihn gab?«
Ilka Breidle rührte sich nicht von der Stelle. »Drohungen? Sie bringen seinen Tod damit in Zusammenhang?«
Braig ging nicht direkt auf ihre Frage ein. »Wir sind heute Mittag schon bei seinem Sender in Stuttgart gewesen und haben uns mit dem Chefredakteur und einigen Mitarbeitern unterhalten. Diese erwähnten mehrere telefonische Drohungen, die gegen Ihren Mann eingegangen sind.«
»Sie glauben nicht, dass es ein Unfall …«
»Nein. Diese Frage ist eindeutig geklärt. Es war Mord. Er wurde von einer Person, die in seinem eigenen Auto saß, getötet.«
Sie nickte langsam, wie in Zeitlupe. Offensichtlich hatte sie den Gedanken, dass es sich um ein Verbrechen handelte, von sich geschoben, bewusst nicht in Erwägung gezogen.
»Er hatte keine … Feinde?« Braig zögerte die Frage hinaus, sah, wie die Frau vor Schreck erblasste.
»Das glauben Sie doch nicht wirklich.«
»Ich muss an alles denken. Das ist unsere einzige Chance, den Tod Ihres Mannes restlos aufzuklären.«
Ilka Breidle hatte sichtbar Mühe, sich auf seine Frage einzulassen. Braig sah an ihrem Mienenspiel, wie es in ihr arbeitete.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie schließlich, »Feinde?«
»Als Journalist konnte er es wohl nie allen recht machen. Und auch als Radiomoderator war er vielleicht nicht bei allen Hörern beliebt.«
Braig hatte in dem Gespräch mit dem Chefredakteur am frühen Mittag erfahren, dass Hans Breidle seit einigen Monaten jeden Nachmittag und Abend unter dem Pseudonym Jack Cool eine eigene mehrstündige Sendung gestaltete, die primär auf ein jugendliches Publikum ausgerichtet war. Vorher hatte er drei Jahre lang nur den Freitag- und Samstagabend betreut, war aber durch seine total coole Moderation, wie der Leiter des Senders wortwörtlich erklärt hatte, im Verlauf weniger Monate zum Idol junger Leute im Ländle geworden, sodass man ihm vor kurzem die tägliche Hauptsendezeit, Prime time in den Worten des Mannes, von 15 bis 20 Uhr angeboten hatte. Cool ist Kult, der Senderchef war vor lauter Euphorie nahe daran gewesen, seine Beherrschung zu verlieren, Kult, verstehen Sie?
Mit dieser Moderationsumstellung war eine Neuausrichtung des Programminhalts des gesamten Senders erfolgt; man hatte die von der Werbung besonders umschwärmte Zielgruppe der unter 30-Jährigen als primären Kundenkreis definiert, Musik und Texte entsprechend neu ausgerichtet. »Wissen Sie, was der Tod Cools für uns bedeutet?« Der Chefredakteur hatte Mühe gehabt, aus seinem Jammertal zu finden. »Monatelang haben wir Jack aufgebaut, ihm von anderen Mitarbeitern zugeliefert, soweit es unsere Kapazitäten erlaubten. Und jetzt?«
Nein, sie konnten sich beim besten Willen nicht erklären, wer Cool so sehr hasste, dass er ihn umzubringen bereit war. Drohungen hatte es gegeben, alle im Zusammenhang mit Cools coolen Sprüchen, aber der Moderator
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