Schwaben-Hass
ein stachelndes, stinkendes Dickicht. Sie drückte ihr Gesicht nach unten, robbte vorsichtig vorwärts. Äste, Stacheln, Dornen, ein unentwirrbares Geflecht von Zweigen und Pflanzen, alle paar Sekunden das blitzschnelle Zur-Seite-Huschen eines winzigen Tieres.
Plötzlich waren sie in ihrer Nähe. Sie hörte das Trampeln schwerer Schritte, die direkt auf sie zuhielten, dann das laute Keuchen unmittelbar über sich. Erschrocken presste sie sich auf den morastigen Boden, gab keinen Laut von sich.
»Verdammte Scheiße«, brüllte der Mann, keine fünf Meter von ihr entfernt, »ich kann überhaupt nichts mehr erkennen.«
Das Kribbeln in ihrer Nase begann urplötzlich, aus heiterem Himmel. Sie spürte die leichte Bewegung in den feinen Härchen des linken Nasengangs, fühlte den Reiz immer stärker werden.
Verzweifelt schob sie ihren Arm durch die Dornenschlingen nach oben, versuchte, ihre Nase zuzudrücken.
»Wo ist die verschwunden?«, schrie der Mann.
Es war der Bärtige, sie erkannte ihn an der Stimme.
Sie drückte ihre linke Gesichtshälfte fest auf den Boden, hielt die Luft an. Das wuchtige Stampfen hatte aufgehört, der Mann stand unmittelbar in ihrer Nähe. Sein heftiges Keuchen war laut und deutlich zu vernehmen.
»Sie hier«, kam die Antwort, wenige Meter unterhalb, »garantiert.«
Das Kribbeln in ihrer Nase verstärkte sich, ließ sich nicht länger ignorieren. Sie rang um Luft, drückte ihr Gesicht noch tiefer in den Morast des Bodens, spürte, wie ihre Nase zu explodieren drohte.
Plötzlich dröhnte das laute Röhren eines Motors durch die Stille der Nacht. Der Lichtkegel eines vorüberrasenden Autos tauchte die unterhalb des Dickichts gelegene Bundesstraße für Sekundenbruchteile in ein gespenstisches Licht. Das Dröhnen des Fahrzeugs wurde immer lauter, übertönte für wenige Momente jeden anderen Laut.
Michaela König konnte dem Reiz nicht länger widerstehen. Das Niesen riss ihren Kopf in die Höhe, schleuderte ein winziges Insekt zurück in den Humus. Das Röhren des Autos kam jetzt aus der Lichtung genau unter ihr.
Sie atmete tief durch, starrte nach oben. Dunkelheit, undurchdringlicher Dämmer. Der Angstschweiß rann ihr die Achseln herab auf die Brust, klebte in ihrer Kleidung fest.
Erschöpft wartete sie auf die Reaktion ihrer Verfolger.
8. Kapitel
Wenige Minuten nach Zehn war Steffen Braig nach Hause gekommen, müde, abgekämpft und mit Schmerzen in Kopf und Magen. Er hatte zwei Brote mit Käse belegt, sie mit einem schnell gekochten Tee lustlos heruntergewürgt, sich dann ausgiebig geduscht und einen Schlafanzug übergestreift.
Obwohl er kaum noch dazu fähig war, einen klaren Gedanken zu fassen, wusste er aus langjähriger Erfahrung, dass es ihm nicht gelingen würde, schnell Schlaf zu finden. Seine Nerven waren von der Anspannung des Tages zu überreizt, um ihn sofort zur Ruhe kommen zu lassen.
Braig lief in die Küche, holte einen Rotwein aus dem kleinen Regal, entkorkte ihn. Kleinaspacher Kelterberg Trollinger mit Lemberger verkündete das Etikett.
Barbara hatte ihn ihm geschenkt, eine der letzten Aufmerksamkeiten, bevor sie sich endgültig getrennt hatten. Barbara Sorg, die er im letzten Jahr auf der Rückfahrt von Hamburg kennen gelernt und die monatelang versucht hatte, ihn zu einer gemeinsamen Zukunft zu überreden – vergeblich. Braig wusste bis heute nicht, warum er sich ihr letztendlich verweigert, die Beziehung nicht hatte zum Blühen kommen lassen. Er fand Barbara sympathisch, sehr sympathisch sogar, war sich zeitweise auch sicher, in sie verliebt zu sein, scheute aber vor einer endgültigen Bindung zurück. Waren es die unübersehbaren Bemühungen ihres Ehemanns, ihre Beziehung doch noch zu retten, die Braig davon abhielten, sich zu ihr zu bekennen?
Er wusste es nicht, vermochte auch im Rückblick nicht, sein Verhalten logisch zu analysieren. Aber ließen sich menschliche Beziehungen überhaupt nach rationalen Maßstäben beurteilen?
Steffen Braig schenkte sich ein Glas voll, hielt es unter seine Nase, genoss das fruchtige Aroma des Weines. Er nahm eine der Kassetten, die ihm der Chefredakteur des Rundfunksenders als Beleg für Hans Breidles Arbeit mitgegeben hatte, erinnerte sich an die Worte des Mannes. »Cool ist Kult.«
Braig steckte die Kassette in seine Stereoanlage. Kult, über-legte er, von besonderer Klasse also?
Die Donnerschläge aggressiven Techno-Sounds machten jeden weiteren Gedanken unmöglich. Braig sprang auf, eilte zum Lautstärkeregler,
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