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Schwaben-Hass

Schwaben-Hass

Titel: Schwaben-Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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drehte ihn zurück. Er wohnte in einem Acht-Familien-Haus und hatte kein Interesse, bereits schlafende Nachbarn eine knappe Stunde vor Mitternacht aus dem Bett zu werfen.
    Braig ließ das Hämmern und Wummern der Bässe stark gedämpft über sich ergehen. Auch in dieser Lautstärke war es wirklich nicht seine Musik. Techno, Hard-Rock und ähnlich aggressive Rhythmen mochten Menschenmassen in ihren Bann ziehen, er zählte sich nicht dazu, konnte diesen Musikstilen keinerlei Faszination abgewinnen. Wie mancher Technofan, Kopfhörer über den Ohren, sich freiwillig Lärm diesen Ausmaßes antun konnte, blieb Braig weitgehend unbegreiflich. Er stand eher auf Irish Folk, liebte die sanfteren Töne, dazu auch Klassik, kam aber durch seine starke berufliche Beanspruchung nur selten dazu, sich musikalischen Genüssen hinzugeben.
    »Hallo, liebe Leute, einen wunderschönen Vorfrühlingstag! Die Sonne scheint, die Luft ist lau, um nicht zu sagen warm, der Tag heute ist einfach wonderful. Genießt jede Sekunde, knutscht miteinander, solange ihr Lust habt, und widmet euch Jack Cool!«
    Die Worte des Moderators, von Musik untermalt, rissen Braig aus seinen Gedanken. Der Mann redete und redete, wollte überhaupt nicht mehr aufhören. Cool präsentierte ein wahres Feuerwerk mehr oder weniger belangloser Gedanken, sprudelte wie ein Wasserfall, war kaum zu bremsen – und das alles in einer Zeitspanne von maximal eineinhalb bis zwei Minuten, bevor die nächste musikalische Welle, diesmal deftig-fetziger Rap auf die Hörer losbrandete.
    Cools Bemerkungen waren, wie Braig fand, weder originell noch von besonderer Komik, es handelte sich einfach um oberflächliches, weitgehend sinnloses Geschwätz, wie man es von den Musikwellen der meisten Sender gewohnt war – oder zeigte er mit dieser Wertung nur wieder einmal, dass er einfach zu alt war und die Gesetze dieser neuen, wonderfullen Zeit nicht mehr verstand? Mit nahezu vierzig Jahren ein halbverkalkter Tattergreis?
    Er nippte an seinem Wein, ließ Musik, Werbung und Moderation über sich ergehen. Je länger er sich die Cassette anhörte, desto mehr verfestigte sich in ihm die Überzeugung, dass es sich bei Cools Worten um einen dämlichen Mischmasch aus Nonsens und hohlem Geschwätz, locker-flockigem Gelaber ohne Sinn und Ziel handelte, einzig mit der Intention, die Zeit zwischen Musikblöcken und Werbung zu überbrücken. Das sollte Kult sein?
    »Das ist euer Tag heute, lasst ihn euch nicht nehmen, fletzt euch mit einer scharfen Braut in die nächste Ecke und hört nicht auf das Gemecker der Alten, lasst sie einfach auflaufen, die blicken eh nicht mehr durch, wo es lang geht. Lebt euer eigenes Leben, wer motzt, ist alt und verkalkt, wer lebt, ist jung und in!«
    Danach Werbung für irgendein Deo-Spray, eine Techno-CD, zwei Computer-Spiele, eine Automarke; anschließend Musik, eine Art Hardrock.
    Braig verstand beim besten Willen nicht, was an Cools Sprüchen Kult sein sollte, er fand sie nur dämlich. Dämlich und unverschämt, teilweise sogar menschenverachtend, was die Attacken gegen Ältere anbelangte. Mit der intellektuellen Potenz des Mannes konnte es wohl nicht weit her gewesen sein.
    War es wirklich normal, dass man Leute mit derlei geistigen Tiefschlägen an die Öffentlichkeit ließ? Was war das für eine Zeit, in der Rundfunksender solch hanebüchen niveaulose Querschlägereien ungeniert als Kult zu verkaufen wagten? Er schüttelte den Kopf, überlegte, ob Cools Hörer nicht wussten, dass der Moderator selbst längst zu der Altersgruppe gehört hatte, die er mit seinen hohlen Tiraden ständig veralberte. Ein 50-jähriger, der sich bei Twens und Teenies anbiederte, indem er Leute seiner eigenen Generation madig machte.
    Braig spürte, wie Erschöpfung und Schläfrigkeit immer stärker von ihm Besitz ergriffen. Er trank sein Glas leer, schaltete die Stereoanlage aus. Vielleicht sollte er sich die übrigen Kassetten am Tag, bei voller Konzentration anhören, um auf Aussagen Cools zu stoßen, die für die Drohungen gegen ihn verantwortlich sein konnten. Jetzt war er einfach zu müde, um eventuelle Zusammenhänge zu erkennen.
    Er gähnte laut, löschte das Licht, lief zum Schlafzimmer, als das Telefon läutete. Zwanzig vor Zwölf, kurz vor Mitternacht. Was war jetzt wieder los?
    Braig fluchte laut, als er den Hörer abnahm.

9. Kapitel
    Wie der Lärm begonnen hatte, so urplötzlich verstummte er wieder. Das Röhren des Motors ließ an Intensität nach, wurde leiser und leiser,

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