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Schwaben-Hass

Schwaben-Hass

Titel: Schwaben-Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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ins oberste Stockwerk hoch gestiegen waren.
     
    Michaela König trat vor den Eingang, betrachtete das Anwesen. Von außen hatte sich nichts verändert. Die leicht vergammelte, an vielen Stellen von Efeu und anderen Pflanzen überrankte Steinmauer, das dunkle, von einem überaus kunstsinnigen Schmied gefertigte Tor.
    Sie tippte ihr Geburtsdatum in die Tastatur, hörte das Summen, das die Tür öffnete. Er hatte das System in Paris entdeckt, damals, vor vielen Jahren, als es im technikbegeisterten Nachbarland als der neueste modische Schrei galt.
    Die Methode war absolut sicher, solange niemand den richtigen Code kannte. Gab man auch nur eine Ziffer falsch ein, ertönte sofort ein durchdringender Heulton, der jeden unberechtigten Aggressor verjagte. Ihr zu Ehren hatte er für die schönste Wohnung ihre persönlichen Daten einprogrammiert.
    Sie schob das Tor zurück, trat in den von blühenden Osterglocken gesäumten Hof, schob das Portal hinter sich ins Schloss. An der Haustür wiederholte sie die Prozedur, trat dann ins Innere, schnaufte langsam die Treppen hoch. Die Stufen knarrten wie damals. In der Luft lag das Aroma frischen Bienenwachses.
    Die Wohnung war frisch renoviert, mit neuen Tapeten und Vorhängen ausgestattet. Sie schlenderte durch die drei Räume, sah, dass er bis auf das Bett nichts verändert hatte: Anstelle des alten stählernen Futon-Ungetüms machte sich im Schlafzimmer jetzt ein massives Vollholz-Exemplar breit, das gut zu den dunkelblauen Vorhängen passte.
    Der Wohnraum war mit dem altvertrauten Mobiliar bestückt, das sie kannte: Das bequeme halbrunde Polster von IKEA, der breite Tisch mit massivem Sockel und die schlanke Kiefernholz-Vitrine an der Wand, die mehrere Porzellan- bzw. Glas-Garnituren zum Essen und Trinken barg. Dazu eine Aussicht aus den großen breiten Fenstern, die alles, was sie sonst kannte, in den Schatten stellte: Das Häusermeer des Stuttgarter Talkessels, die umliegenden Höhen, das Vorland, im Hintergrund die Berge.
    Küche und Bad glänzten in neuen Farben: Helle Tapeten mit gelblichem Einschlag nahmen den abgeschrägten Wänden den Eindruck einengender Begrenzung, ließen sie größer erscheinen.
    Sie packte den Rucksack aus, lagerte die Lebensmittel in der Küche und wandte sich dem Bad zu. Ihre Haare zu schneiden, bereitete ihr keine großen Schwierigkeiten, sie hatte es als Studentin ebenso oft selbst praktiziert wie später als Dozentin.
    Sie nahm den Spiegel, den sie kurz vorher erworben hatte, riss die neue Schere aus ihrer Packung. Es dauerte annähernd zwei Stunden, bis ihre Haare auf die Hälfte gestutzt waren und in neuer, fast rabenschwarzer Farbe aufleuchteten. Sie starrte in das Gewirr ihrer Ebenbilder, die sich bei Veränderungen der Kombination der beiden Spiegel immer aufs Neue ergaben, erschrak über die Frau, die ihr entgegenblickte: Müde Augen, von Falten umgeben, bleicher, fast kranker Teint.
    Sie war todmüde, wollte nur noch ins Bett, schlafen, ausruhen, alles vergessen.
    Als sie das Schlafzimmer betrat, läutete das Telefon. Sie schrak zusammen, starrte ängstlich zur Tür. Telefon, hier?
    Wussten sie schon, dass sie sich hier verbarg?
    Nein, sie konnten es nicht wissen. Nicht Stuttgart, nicht die Straße, nicht das Haus. Unmöglich.
    Sie setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett und hörte dem Läuten zu. Zehnmal, zwölf, fünfzehn. Es wollte nicht aufhören. Wer konnte es sein, außer ihm?
    Sie lief ins Wohnzimmer, nahm den Hörer ab, lauschte in die Muschel.
    »Hallo«, sagte er, »du hast schon geschlafen?«
    Ihr ganzer Körper streckte sich, sie atmete tief durch, entspannte. »Ich war gerade dabei«, antwortete sie.
    »Tut mir Leid, wirklich.« Er schwieg einen Moment, hielt die Hand vor den Hörer, sagte etwas zu einer anderen Person. Dann war er wieder da. »Entschuldige bitte, aber ich muss gleich weg. Sonst hätte ich dich nicht mehr gestört.«
    »Ist schon gut.« Sie relaxte mehr und mehr, legte sich auf das Sofa.
    »Alles okay?«
    »Es geht.« Sie schob ihren Fuß unter ein breites Kissen, lehnte sich zurück. »Wo fährst du hin?«, fragte sie.
    »Paris. Dämlicher Kongress.«
    »Die Geschäfte laufen immer noch gut?«
    »Liest du ab und zu Zeitung?«
    Sie lachte, wusste, was er meinte. Ende der achtziger Jahre hatte er sich mit Freunden selbständig gemacht, neben seiner Tätigkeit als Mathematik-Dozent eine kleine Firma für Computer-Software gegründet, die seitdem unaufhaltsam expandierte. Sie beschäftigten inzwischen ganze

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