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Schwaben-Hass

Schwaben-Hass

Titel: Schwaben-Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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Gaffer weg. Ob sie mich doch hierher verfolgt haben? Ihre Beine zitterten plötzlich, die Knie wurden weich.
    Beeilung, schaffte es in ihr, ich muss von hier verschwinden.
    »Du bist nach wie vor die Größte.«
    »Danke«, presste sie hervor. Ihre Stimme drohte zu versagen. Sie drehte sich vorsichtig um, sah den Mann die Rolltreppe zur Station betreten. Er schenkte ihr keine Beachtung mehr, starrte einer anderen Frau hinterher.
    Zufall, fragte sie sich, war es Zufall?
    »Nur …« Ihr Gesprächspartner am Telefon zögerte, überlegte.
    Sie konzentrierte sich wieder auf ihn, versuchte es jedenfalls.
    »Ich muss heute Abend noch auf Geschäftsreise.«
    »Lass dich nicht abhalten.« Es kam ihr gerade recht. Sie wollte ihn nicht auf dem Hals haben. Nicht jetzt, in dieser Situation. »Ich benötige Ruhe. Wirklich.«
    »Okay. Nächste Woche bin ich zurück. Sehen wir uns?«
    »Vielleicht«, antwortete Michaela König. Wenn ich noch lebe. Oder noch nicht verhaftet bin.
    »Lass es dir gut gehen. Ruhe dich aus.«
    »Danke. Der Code ist wirklich …«
    »Ja, sagte ich doch: Alles ist unverändert.« Er lachte laut, als er den Hörer auflegte.
    Michaela König sah sich nach allen Seiten um, verließ das Telefon. Auf der Rotebühlstraße herrschte wie üblich dichter Verkehr. Sie ärgerte sich über sich selbst, den falschen Ausgang aus der Station genommen zu haben, brauchte mehrere Anläufe, bis sie die Straße endlich überquert hatte. Ein Auto hupte, bremste erst wenige Meter vor ihr ab.
    Sie folgte der Straße abwärts, kaufte in verschiedenen Läden, was sie benötigte. Sie hielt sich nicht lange auf, bediente sich aus dem Regal, zahlte an der Kasse. Niemand sollte sich an die Frau erinnern können, die auch hier bereits auf Plakaten präsentiert wurde.
    Die Rötestraße mit der anschließenden Staffel zu finden gelang ihr auf Anhieb. Sie war die steilen Treppen so oft hinauf- und hinuntergeschlendert, dass sie den Weg mit verbundenen Augen gefunden hätte. Irgendwann einmal hatte sie die Stufen gezählt. Zu welchem Ergebnis sie gekommen war, wusste sie heute nicht mehr. Irgendeine Zahl um die Hundert, erinnerte sie sich, als sie den Berg hinaufkeuchte.
    Das Haus in der Hasenbergsteige stand keine hundert Meter oberhalb der Einmündung der Staffel auf der anderen Seite der Straße mitten auf dem schmalen Bergkamm zwischen dem Stuttgarter Westen und dem südlich gelegenen Stadtteil Heslach.
    Michaela König erinnerte sich noch genau an den Moment vor mehr als zehn Jahren, als er ihr das Haus zum ersten Mal gezeigt hatte: Eine halbe Stunde nach Mitternacht, an einem der wärmsten Maiabende, den sie je erlebt hatte. Seine Verführungskünste hatten ihr Ziel erreicht, ohne dass er ihr einen einzigen Tropfen Alkohol hatte einflößen müssen, was Wunder bei diesem Traum von Haus, was Wunder bei diesem Irrsinn einer Wohnlage.
    Wie ein verwunschenes Märchenschloss erhob sich der drei Stockwerke hohe, im Stil eines altenglischen Landhauses ausgeführte, von einem quadratischen, in dunklem Holz errichteten Turm gekrönte Bau mitten auf dem schmalen Bergrücken. Die Aussicht von einem der verschachtelt eingefügten, bei jedem Windstoß knackenden Holzbalkone oder aus einem der großen, mehr als 2,50m hohen Zimmer war so einzigartig, dass sie der auf derlei Zauber unvorbereitete Verstand so schnell gar nicht verarbeiten konnte: Der gesamte Talkessel der Stuttgarter Innenstadt mit den nördlichen Vororten, dem Neckarumland bis hin zu den Anhöhen des Schwäbischen Waldes auf der einen, die enge Schlucht des Heslacher Tales mit den am gegenüberliegenden Hang errichteten Villen von Degerloch bis zu den fernen Kuppen der Schwäbischen Alb auf der anderen Seite.
    Rings um das von Klinkersteinen und Fachwerkstruktur geprägte Gebäude rankte dichtes Gebüsch; ein lichter Wald aus schlanken Laubbäumen rahmte das Traumhaus auf allen Seiten ein. Nach Süden hin fiel das Gelände steil ab, hin zu einer Kante von Obstbäumen und einem schmalen Weinberg; von der Straße her wurde es von einer hohen Steinmauer abgeschirmt. Allein das stabile, schmiedeeiserne Tor erlaubte einen Einblick in das Pflanzendickicht und den kleinen Garten, der das Gebäude umgab.
    Während sie versuchte, irgendwie einen klaren Kopf zu bekommen, träumte sie von der ersten Nacht, die sie hier verbracht hatte als läge sie nicht Jahre, sondern nur wenige Tage zurück, die Momente, in denen sie gemeinsam in dieses Traumreich vorgedrungen und die knarzenden Stufen bis

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