Schwaben-Hass
Heere von Informatikern, ihr Aktienkurs bewegte sich trotz des letztjährigen Börsen-Crashs immer noch in schwindelerregenden Höhen.
»Wie viele Häuserzeilen in Stuttgart gehören dir inzwischen?«
Er lachte. »Du überschätzt mich gewaltig. Ich bin nur ein kleiner Teilhaber hier. Die City kaufen andere.«
»Du armer Schlucker.«
»Zum Geldausgeben bleibt mir leider keine Zeit.«
»Keine Frauengeschichten mehr?«
»Ich konnte dich nie vergessen.«
»Lügner.«
Er lachte aus vollem Hals. »Und du?«, fragte er.
»Ein Student nach dem anderen«, feixte sie, obwohl ihr nicht danach zumute war.
»Das glaube ich dir aufs Wort. Aktiv wie immer.«
Sie gab ihm keine Antwort. Er hatte angefangen damals, nicht sie. Er, der Leiter des Anfänger-Seminars in Mathematik, nicht sie, die junge, noch schüchterne Studentin der ehrwürdigen Tübinger Universität. Er hatte sie verführt nach Strich und Faden, wie im Roman. Sie überfallen mit Charme, Zuneigung, Zärtlichkeit, Geld und seinem Märchenschloss. Es hätte ihn den Job kosten können, damals. Stattdessen hatten sie – beide – ihr gemeinsames Glück genossen. Vier, fünf, sechs Semester lang. Bis sie sich auseinandergearbeitet hatten, er mit seinem immer aufwendigeren Engagement in der neuen aufblühenden Firma, sie mit ihrem endgültigen Umstieg von den Natur– zu den Geisteswissenschaften. Irgendwann war sie verblüht, vorbei, die gemeinsame Zeit, die nur ihnen gehört hatte, sonst niemandem bekannt war, außer einigen wenigen intimen Freunden.
»Du musst unbedingt ins Café Graf Eberhard«, sagte er, »genau das Richtige für dich.«
»Glaubst du wirklich?«
»Ich kenne doch deinen Geschmack. Du wirst dich wohlfühlen. Es liegt am Rand der Altstadt. Ecke Nesenbach- und Christophstraße.«
»Danke für den Tipp.«
»Wir sehen uns, Ende der Woche?«, fragte er.
»Hoffentlich«, erwiderte sie. Wenn ich noch lebe.
»Alles Gute«, meinte er, dann hatte er aufgelegt.
Sie wusste, dass sie hier sicher war. Wenn nicht hier, wo dann?
Sie lief ins Schlafzimmer, legte sich ins breite Bett, versank in tiefen Schlaf.
18. Kapitel
Michael Felsentretter stand mit weit nach vorne gerecktem Kopf vor Braigs Büro, als dieser aus dem Fahrstuhl trat. Der Kriminalkommissar war vor wenigen Wochen zu ihnen gestoßen, nachdem die Kollegin Neundorf ihren Mutterschaftsurlaub angetreten hatte.
Felsentretter war annähernd zwei Meter groß, dazu kräftig, muskulös, von langjährigem Kraftsporttraining von der breiten Schulterpartie bis zu seinem durch die außergewöhnlich entwickelte Beinmuskulatur bewirkten, leicht watschelnden Gang geprägt. Er hatte dünne Haare, ein breites Gesicht, war Mitte Dreißig.
»Jetzt hängt das Albanerpack mit drin«, donnerte er Braig entgegen, wedelte mit mehreren Blättern Papier durch die Luft.
Braig blieb impulsiv stehen, bedachte Felsentretter mit einem kritischen, abweisenden Blick. Der Abstand zu dem Kollegen betrug mehr als drei Meter; Braigs verkrampfte Körperhaltung sprach Bände. Er konnte den Mann nicht leiden, hatte bisher keinen Zugang zu dessen – wie er fand – grobschlächtiger, oft unbeherrschter Art gefunden, verhielt sich ihm gegenüber deshalb sehr reserviert.
»Wer hängt wo drin?«, fragte er in gereiztem Ton. Seine Stirn lag in Falten.
»Albaner«, erklärte Felsentretter, »die Krönung des Kontinents.«
Er baute sich vor seinem Kollegen auf, schlug mit der linken Hand auf seine Brust.
Braig verabscheute die oftmals vulgäre, oft auch rassistische Ausdrucksweise des anderen, ärgerte sich, nach seiner Rückkehr aus Winnenden jetzt direkt auf den Mann zu treffen. Er hatte die Augenzeugen besucht, die Nuhr mit der bisher unbekannten Frau auf der Terrasse des Cafés in der Fußgängerzone beobachtet hatten, war mit Fotos, die sie in Verena Litsches Wohnung gefunden hatten, bei ihnen vorstellig geworden. Zwei von den Dreien glaubten, die in Tübingen Ermordete als die Person zu erkennen, die mit Nuhr geredet hatte, auch wenn sie im Vergleich zu den Fotos inzwischen deutlich gealtert und dünner geworden war.
»Das ist die Frau, hundert Pro!« hatte der Kellner des Cafés beteuert, den Braig zuhause in seiner Wohnung in Schelmenholz, einem Vorort von Winnenden aufgesucht hatte, »zehn Kilo schwerer, aber sie ist es.«
Es gab keinen Grund, an den Aussagen der Leute zu zweifeln, durfte somit als gesichert gelten, dass sowohl Nuhr als auch seine Gesprächspartnerin Opfer zweier im Abstand weniger Stunden
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