Schwaben-Hass
Gespräch weiter zu verfolgen.
»Ich will eine Million«, erklärte die Frau dann wieder, »mindestens.«
Markey seufzte laut. »So viel können wir nicht zahlen. Wir sind kein …«
»Ich gebe Ihnen 15 Stunden. Morgen Mittag rufe ich noch mal an.«
»Wir müssen uns treffen. Sie sind in Gefahr …«
Bettina Markey hörte nur noch das Abläuten des Telefons. Die Frau am anderen Ende hatte aufgelegt.
20. Kapitel
In der Nacht hatte sich der Wind gedreht. Er wehte jetzt aus Nordwest, führte kalte Luft und Feuchtigkeit mit sich. Über Stuttgart hingen dicke Wolken, Straßen und Gehwege waren nass, als Braig kurz vor halb Acht aus dem Fenster blickte.
Er hatte den Wecker später läuten lassen, um sich von seiner bleiernen Müdigkeit zu befreien. Lieber eine halbe Stunde länger schlafen und dadurch einen einigermaßen klaren Kopf bekommen als überhastet und mit bohrenden Schmerzen die Ermittlungen vorantreiben, hatte er im Lauf der Jahre gelernt – leider jedoch nur selten danach gehandelt. Die Befürchtung, von Gübler, seinem seit Monaten wegen eines Jagdunfalls krank gemeldeten Vorgesetzten, als faul, untätig oder verschlafen gerügt zu werden, war zwar mit zunehmender beruflicher Praxis mehr und mehr gewichen, doch hatte ihn sein ausgeprägtes Pflichtbewusstsein fast immer daran gehindert, seine Erkenntnis in die Tat umzusetzen.
Es war spät geworden in der Nacht. Zwanzig Minuten vor Neun hatte Braig gemeinsam mit Felsentretter die Beamten der Fahndungsabteilung zu einem sofortigen Einsatz mobilisiert, bei dem sämtliche verdächtigen Adressen überprüft und alle einschlägigen Kontaktpersonen nach dem albanischen Verbrecher befragt worden waren. Wohnungen in der gesamten Umgebung von Stuttgart wurden durchsucht, Wirtschaften, Spielhöllen und Szenetreffs gefilzt, Asylbewerberheime inspiziert. Die Aktionen reichten bis in den frühen Morgen, sorgten für Aufsehen und Unruhe, signalisierten einer speziellen Klientel, dass es sinnvoll wäre, der Polizei – falls möglich – die gewünschten Auskünfte zu erteilen, um wieder in Ruhe leben und arbeiten zu können.
Als Braig völlig erschöpft und übermüdet kurz vor ein Uhr nach Hause gekommen war, hatten sich noch keinerlei Informationen über den Verbleib des Gesuchten ergeben. Der Bericht aus Italien, dass der Albaner dort im Auftrag eines Ministers Menschen, darunter einen Journalisten getötet hatte, war den ganzen Abend nicht mehr aus seinen Gedanken gewichen.
Wenn Felsentretter den Sachverhalt korrekt verstanden und wiedergegeben hatte – und daran gab es wohl kaum einen Zweifel – waren die Morde vor wenigen Jahren nicht deshalb geschehen, weil eine jener albanischen Banden, über deren Expansion und Praxis er sich mit Reinhardt unterhalten hatte, sich in ihren Drogen- oder Waffengeschäften bedroht sah, sondern weil ein Politiker einen Killer gesucht und bezahlt hatte, der ihm mehrere Menschen aus dem Weg räumen sollte. Keine Banden-, eher Auftragsmorde also. Auftragsmorde dazu, die unübersehbare Parallelitäten zu ihrem vorliegenden Fall aufwiesen. Hier wie dort je ein Minister, je ein Journalist, dazu der bezahlte Killer. Doch durfte man die beiden Verbrechensserien wirklich so einfach miteinander vergleichen?
Braig hatte versucht, seinen wirren Kopf aus der Gedankenflut in den Schlaf zu retten, war jedoch lange damit beschäftigt gewesen, sich von den undurchschaubaren Spekulationen zu lösen. Wieder und wieder hatte sich ihm beim Versuch, sich aus der Realität auszublenden und in die Welt der Träume einzutauchen, das Gefühl in den Weg gestellt, dass die Lösung weit komplizierter, erst über viele zusätzliche Umwege zu finden war, eine Erfahrung, die er im Verlauf seiner langjährigen beruflichen Praxis verinnerlicht hatte.
Braig ließ sich vom nasskalten Wetter nicht abschrecken, lief die paar Meter von seiner Wohnung in der Hermannstraße in der Stuttgarter Innenstadt zur S-Bahn-Station Feuersee. Ein heftiger Regenschauer prasselte nieder, als er vom Bad Cannstatter Bahnhof zum Landeskriminalamt spurtete, um sich Bewegung in frischer Luft zu verschaffen.
Er rettete sich aus dem Regen in die Empfangshalle des Amtes, schüttelte die Feuchtigkeit von sich ab. Der diensthabende Beamte nickte freundlich, als der Kommissar die Pförtnerloge winkend passierte. Braig betrat den Fahrstuhl, fuhr ins oberste Stockwerk. Die hoch aufgeschossene Gestalt des Kriminalmeisters Stöhr stand vor der Tür seines Büros.
»Guten Morgen. Sie
Weitere Kostenlose Bücher