Schwaben-Hass
unseren Kfor-Soldaten aufmerksam beschützt. Damit die Killer besser agieren können.« Er ließ wieder sein kurzes, bitteres Lachen hören.
»Ihr kennt die Bosse?«
»Einige, ja. Die meisten allerdings nicht. Wir kommen nicht an sie heran. Albanische Kriminelle sprechen Dialekte, die Außenstehenden kaum verständlich sind. Die Clans sind Fremden zudem verschlossen. Natürlich will ich nicht sagen, dass alle Albaner kriminell sind, das nicht. Aber durch die jahrhunderte lange Unterdrückung durch Fremde im Kosovo und Nordalbanien waren die Leute gezwungen, sich ein eigenes Rechts- und Sozialsystem zu schaffen, um sich ihre Eigenständigkeit zu bewahren. So entstand ein Prinzip, das genau definiert, wer neben der Blutsverwandtschaft zur Solidargruppe gehört und deren Schutz genießt. Auf Verrat steht der Tod. Deshalb haben wir kaum Chancen, an die Leute ranzukommen. So gut wie nie vertraut ein Albaner einem Polizisten, der nicht zu seinem Clan gehört. Und ein Krimineller, auch ein Mörder, kann sich auf den Schutz seiner Gruppe verlassen. Ich komme mir vor wie Sisyphos: Wir arbeiten Tag und Nacht und dennoch fließen immer neue Heroinmengen und Waffen ins Land. Gelingt es uns trotzdem einmal zuzuschlagen, erwischen wir nur die Handlanger, die kleinen Fische. Was können wir denen schon nachweisen? Es reicht höchstens für ein paar Monate. Und kaum sind die Typen frei, sind sie auch schon verschwunden, spurlos. Dann kämpfen sie sich in ihrer Organisation nach oben. Bis sie ein paar Jahre später in einem anderen Land zufällig in eine Polizeikontrolle geraten. Neuer Ausweis, neuer Name, neue Adresse. Bis die Kollegen eruiert haben, dass die Fingerabdrücke mit denen eines im Nachbarland wegen Mordes gesuchten Killers identisch sind, ist von dem Kerl nichts mehr zu sehen. Verschwunden, irgendwo im weiten Netz ihrer Organisationen. Was wir mit all unseren Aktivitäten bisher erreicht haben, sind Nadelstiche. Kleine, harmlose Nadelstiche. Und die Bosse im Kosovo werden immer reicher und mächtiger und die Kfor-Soldaten beschützen ihre Aktivitäten. Mit unseren Steuergeldern.«
»Das klingt nicht gerade optimistisch.«
»Nein, dazu gibt es wirklich keinen Grund. Aber was red ich …« Reinhardt schwieg einen Moment, wurde wieder von einer Stimme aus dem Hintergrund bearbeitet. Er gab eine kurze Antwort, meldete sich dann wieder. »Ich habe mir den Namen notiert. Sollte ich zufällig irgendwelche Informationen dazu haben, gebe ich euch Bescheid. Spätestens morgen früh.«
Braig bedankte sich, stand auf, lief zum Wasserhahn, füllte sich noch ein Glas voll. Hunger, Durst und Müdigkeit machten ihm immer stärker zu schaffen. Was er von Reinhardt erfahren hatte, klang nicht gerade hoffnungsvoll. Falls Litsche und Nuhr den Aktivitäten einer albanischen Bande auf die Schliche gekommen waren, wie sollten sie die Drahtzieher der Clique ausfindig machen? Er musste sich bei der Organisierten Kriminalität genau nach den Gangs erkundigen, die im Raum Stuttgart tätig waren.
Braig nahm das Glas auf, da schoss Felsentretter ins Büro.
»Oh, Sie sind noch hier?«
Braig stellte das volle Glas ab, drehte sich wortlos zu dem Kollegen um. Er sah ihm deutlich an, dass er etwas Wichtiges entdeckt hatte.
»Die Italiener sind fitter als man glaubt.«
Braig blieb am Wasserbecken stehen. »Wieso? Haben Sie jemanden erreicht?«
Felsentretter nickte triumphierend. »In der Tat. Nicht nur, dass deren Büro noch besetzt war, auch ihre Computer sind ordentlich programmiert. Ich sprach mit einem Commissario Fabrici in Venedig. Er ist zuständig für Gewaltverbrechen in der Lagunenstadt und ihrer Umgebung. Hasim Foca war ihm sofort ein Begriff. Unser Killer hat nicht nur ein Fabrikantenehepaar in der Nähe von Venedig ermordet, sondern zwei weitere Menschen.«
Braig streckte seinen Arm aus, stützte sich an der Wand ab. Felsentretters Worte machten ihm erschreckend deutlich, in welche kriminellen Gefilde ihre Ermittlungen vorstießen.
»Der eine ist ein Politiker, wenn ich richtig verstanden habe, so etwas wie ein Landtagsabgeordneter, Mitglied einer sozialistischen Partei. Und der andere …« Felsentretter schwieg, schob seinen Kaugummi im Mund hin und her.
»Wer ist der andere?«, fragte Braig ungeduldig. »Spannen Sie mich doch nicht so auf die Folter.«
»Es ist ein Journalist.«
»Ein Journalist?« Braig begriff die Parallele sofort. Ein Journalist, genau wie im vorliegenden Fall.
Er versuchte, einen klaren Kopf zu
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