Schwaben-Hass
ausführlicher Untersuchung der Café-Terrasse in der Winnender Fußgängerzone die restliche Arbeit den Kollegen von der Kriminaltechnik um Markus Schöffler und eilte zur Bahn, um die Staatsanwaltschaft über den Mord und die bisher erzielten Ermittlungsergebnisse zu unterrichten. Der mysteriöse Tod des Journalisten und der überraschende Fund der einen Minister der Landesregierung eindeutig belastenden Fotos bargen, so ahnte Braig, ein gewaltiges Potential an Sprengstoff in sich. Ob Zusammenhänge zwischen dem Verbrechen und den Bildern existierten oder nicht, die Untersuchungen würden Unannehmlichkeiten mit sich bringen, mochte man auch noch so behutsam vorgehen. Einen Minister des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu bezichtigen – und dieses Delikt führten die Aufnahmen unübersehbar vor Augen – konnte, sollte auch nur ein Hauch dieser Beschuldigung an die Öffentlichkeit dringen, ein politisches Beben auslösen.
Konnte dazu noch der Verdacht, der Tod des Journalisten stehe in weitläufigem oder gar unmittelbarem Zusammenhang mit den Fotos, nicht vollständig ausgeräumt werden, wurde die Sache keineswegs erfreulicher.
Braig dachte jetzt schon voller Widerwillen und Ekel an die Einschüchterungsversuche und unverhohlenen Drohungen von Seiten der verschiedenen Ministerien, denen sie bei ihren Ermittlungen erfahrungsgemäß ausgesetzt sein würden.
Der Zug fuhr in den Bahnhof, kam zum Stehen. Braig sah die von Farbsprays verunstalteten Seitenwände: Graffiti auf den Metallrahmen der Wagen, den Fenstereinfassungen, sogar auf den Scheiben selbst. Schmierereien in verschiedenen Farbtönen, ohne erkennbare Formen, einfach kreuz und quer über die Seitenwände der Waggons verteilt. Dazu kaum lesbare Parolen, in eng ineinander verschlungenen Bögen hingekrakelt, deutlich zu erkennen allein die mehrfach wiederkehrenden Worte Fuck, Votze und Wichser.
Braig spürte Wut, stieg in den Zug. Er suchte sich einen Platz, fand eine freie Vierergruppe, wunderte sich über sich selbst. Was war mit ihm los? Woher kamen seine Wut, sein Hass, die Aggressionen auf Leute, die er gar nicht kannte? Der Ärger über Vorgänge, die nicht in seinen Einflussbereich fielen? Waren Schmierereien dieser Art erhebliche Sachbeschädigungen oder vernachlässigenswerte Nichtigkeiten, die man einfach zu übersehen hatte, wollte man sich das Leben nicht unnötig schwer machen?
Wegsehen, Vorbeisehen, bewusst in eine andere Richtung Schauen – so lautete doch das Motto dieser Zeit. Toleranz, Freiräume, Treibenlassen, nur ja niemanden in seiner freien Entfaltung behindern. Gott, bewahre!
Vielleicht lag es an seiner derzeitigen beruflichen Überarbeitung, einer sich von Woche zu Woche verschärfenden Situation, hervorgerufen durch erfolglose, nicht enden wollende Ermittlungen und eine Kette immer neuer Gewalttaten im Großraum Stuttgart, welche die zuständigen Kriminalpolizeidirektionen und das Landeskriminalamt fast ohne Unterbrechung in Atem hielten.
Angefangen hatte die verhängnisvolle Serie mit dem Verschwinden eines 6-jährigen Mädchens in Filderstadt Anfang Oktober des vergangenen Jahres. Die kleine Alexandra war beim Verlassen der Schule im Ortsteil Bonlanden gegen 11,30 Uhr zum letzten Mal gesehen worden, seitdem war sie nicht mehr aufzufinden, obwohl man von Seiten der Polizei alles getan hatte, um auf Spuren des Kindes zu stoßen. Die Bevölkerung wurde um Mithilfe gebeten, mit Flugblättern, Zeitungsberichten und Rundfunksendungen auf das Verschwinden des Mädchens aufmerksam gemacht. Hunderte von Hinweisen wurden verfolgt, die gesamte Umgebung des Schulgeländes mit den angrenzenden Waldgebieten von Spürhunden und mehr als 200 Beamten bis auf den letzten Quadratmeter durchsucht. Hubschrauber mit Wärmebildkameras überflogen Felder, Spezialtrupps durchkämmten unwegsame Wälder und Gestrüpp. Fachleute der Wasserschutzpolizei suchten den Grund des Bärensees bei Plattenhardt ab, eine Einsatzgruppe filzte mehrere Tage lang den Hausmüll aus Bonlanden, stellte sogar das Müllheizkraftwerk in Stuttgart-Münster auf den Kopf – vergeblich.
Wenige Tage nach dem Verschwinden Alexandras wurden im gesamten Bundesland Fahndungsaufrufe mit dem Bild des Mädchens plakatiert, das Schicksal der 6-Jährigen beschäftigte Jung und Alt. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart und private Spender setzten für sachdienliche Hinweise 23.000 DM Belohnung aus, im Fernsehen stellte die Sendung Aktenzeichen XY ungelöst den Fall vor – alles ohne
Weitere Kostenlose Bücher