Schwaben-Hass
die ihr die Chefredakteurin gegeben hatte. Der Mann würde noch schlafen, so früh am Sonntagmorgen, das war ihr gleichgültig. Wenn er den Kontakt mit ihr wollte, musste er einen Preis dafür zahlen. Und sei es, in aller Frühe aus dem Bett geholt zu werden.
Es läutete nicht lange. Eine verschlafene, männliche Stimme meldete sich.
»Ich hoffe, dass wenigstens dieser Anschluss sauber ist«, sagte sie unvermittelt, ohne sich vorzustellen. »Oder muss ich damit rechnen, dass auch Sie abgehört werden?«
»Frau König?« Die Stimme des Mannes klang plötzlich hellwach.
»Genau.«
»Nein, ich hoffe nicht. Es tut mir Leid, das ist unverzeihlich. Aber wir konnten es nicht wissen, wirklich nicht …«
»Ich will mich mit Ihnen treffen«, unterbrach sie ihn, hatte den ekelhaften Gestank von Bier und Urin in der Nase. Sie starrte auf die Glasscherben, bemerkte die leeren Dosen, die über das gesamte Areal unterhalb der Treppe verteilt waren. »Vorausgesetzt, Sie haben Interesse.«
»Natürlich«, beeilte er sich, »wann immer Sie wollen. Jetzt sofort?«
»Wo sind Sie?«
»In Tübingen. Bei einem Freund.«
»Das ist mir zu gefährlich.« Michaela König schwieg einen Moment, weil wenige Meter von ihr entfernt auf der Böblinger Straße eine Stadtbahn vorbeiglitt. Die fuhren also schon. »Obwohl ich nicht weiß, wo ich weniger bedroht wäre. Vor fünfzehn Minuten habe ich wieder einen der Verbrecher entdeckt. Keine zehn Meter von dem Haus entfernt, in dem ich übernachtet habe.«
»Schlagen Sie vor, was immer Sie wollen. Ich komme so schnell es geht.«
»Irgendwo außerhalb von Stuttgart, vielleicht nicht gerade Richtung Tübingen. Wie kann ich Sie erkennen?«
»Heute ist Sonntag«, erklärte Klaus Weidmann, »das trifft sich gut. Ich habe schon oft Gottesdienste benutzt, um mit Leuten in Kontakt zu treten, die inkognito bleiben wollten. Treffen wir uns in einer Kirche, ich habe eine tageszeitung mit einem Foto von mir in der Hand, damit Sie sicher gehen, dass ich es wirklich bin.«
»Gut«, sagte sie, »wo?«
»Wie wäre es mit Esslingen? Die große St. Dionys-Kirche steht mitten in der Stadt, gleich am Marktplatz. Vom Bahnhof fünf Minuten.«
»Okay. Drücken Sie mir die Daumen, dass ich bis dahin noch lebe.«
32. Kapitel
Die zweite große Razzia innerhalb von zwei Tagen versetzte die halbseidenen Akteure im gesamten Südwesten in äußerste Unruhe. Zwar hatte sich die Meldung, der noch vor 48 Stunden mit großem Polizeiaufgebot gesuchte mehrfache Mörder Hasim Foca sei mittags mitten im Stuttgarter Zentrum von einem Auto erfasst und dabei tödlich verletzt worden, wie ein Lauffeuer in allen Ecken der Stadt verbreitet und bei allen einschlägig Vorbestraften zu gewaltigem Aufatmen und großer Erleichterung geführt, doch wurden die erneuten Aktionen der Beamten umso erstaunter und erschrockener zur Kenntnis genommen. Resultierte die polizeiliche Nervosität aus einem konkreten Anlass oder ließ sie ein neues, rigideres Vorgehen der Überwachungsbehörden für die Zukunft befürchten?
Vorsichtshalber verzichtete man auf jede Provokation, auf jede illegale Machtausübung, versuchte, auf die Wünsche der untersuchenden Beamten einzugehen, gestand Konzessionen zu, die sogar die eigenen Geschäfte am Rand tangierten.
Bis zum Sonntagmorgen hatte die Polizei nicht einen einzigen Hinweis auf eine den Frauenhandel bedrohende Enthüllungsstory, auch nicht eine einzige Andeutung, irgendjemand aus der Branche könnte eine vorbeugende Maßnahme zur Vermeidung geschäftsstörender Überraschungen veranlasst haben.
Hans Breidle war in bestimmten Kreisen zwar als guter und zahlungskräftiger Kunde bekannt, dem man aufgrund langjähriger Beziehungen sogar gewisse Rabatte einräumte, sonst löste die Erwähnung seines Namens jedoch keinerlei Assoziationen aus. Ihn als Opfer der halbseidenen Szene zu vermuten, versprach deshalb aller Erfahrung nach keine besonderen Erfolgsaussichten.
Nicht viel besser fiel die Bilanz bezüglich der Frage nach der Beziehung Breidles zu jungen Frauen aus Osteuropa aus. Im Verlauf der Nacht waren im Großraum Stuttgart zweiundzwanzig illegal in der Prostitution tätige Frauen buchstäblich aus dem Verkehr gezogen worden, davon sieben Bulgarinnen, Polinnen und Ukrainerinnen. Ob sie volljährig waren oder nicht, ließ sich in der Kürze der Zeit nicht ermitteln; den Beteuerungen der zuständigen Bordell-Betreiber nach stand dies jedoch außer Frage.
Steffen Braig, der in der Nacht nur wenige
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