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Schwaben-Hass

Schwaben-Hass

Titel: Schwaben-Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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schlimm«, sagte seine Mutter.
    Er drehte sich zu ihr hin, schüttelte den Kopf. »Du sollst ans Leben denken, nicht ans Sterben.«
    »Ich glaube, ich war drüben«, setzte sie hinzu.
    »Wo?«
    »In einer wunderschönen Welt. Alles war hell, überall nur Sonne und Licht. Ein strahlend helles, blendendes Licht. Das ganze Land in warmen, bunten Tönen. Und über allem ein Leuchten. Ein gleißendes, alles erfüllendes Leuchten. Und die Farben, wunderbare Farben. Jede hatte einen eigenen, einen wundervollen Ton. Alle Farben zusammen spielten eine herrliche, eine himmlische Melodie. Eine Musik wie im Paradies.«
    Er schwieg, ließ sie reden.
    »Und ich war frei, völlig ohne Schmerzen und ganz klar im Kopf. Und dann sah ich mich auf dem Gehweg liegen vor dem Haus, viele Menschen standen um mich herum. Und der Arzt drückte auf mein Herz.«
    »Du erinnerst Dich so genau?«
    Sie nickte. »Ich schwebte oben, über der Straße. Wie ein Vogel. Mitten in der Luft.«
    Steffen Braig nickte, überlegte, dass sie in den letzten Tagen sehr viel mitgemacht hatte. Er hoffte, dass sie bald wieder ganz zu sich finden würde.
    »Unter mir, mitten zwischen den Leuten, kniete der Arzt. Er drückte seine Hand auf mein Herz und versuchte, es wieder in Gang zu bringen. Und ich sah ihm von oben zu.«
    »Der Arzt hat dir das Leben gerettet.«
    Sie tätschelte seine Hand, sah traurig vor sich hin. »Ich wollte es nicht. Es war so schön. Ich fühlte mich leicht und frei wie ein Vogel. Die Luft war warm. Und alles duftete, wie im Sommer im schönsten Garten. Das Aroma von Blumen, Kräutern, Beeren lag über allem. Dazu die Farben. Und ihre Musik. Ich wollte nicht zurück. Ich schwebte dort oben, lauschte der himmlischen Melodie, genoss die Wärme und die Freiheit dieser schönen Welt und wollte bleiben. Nie mehr zurück! Aber der Arzt drückte immer stärker auf mein Herz und plötzlich fing es wieder an zu schlagen und dann kam dieser Schlauch und zog mich nach unten, so sehr ich mich auch dagegen wehrte. Und das Licht, dieses wunderschöne helle Leuchten verlöschte, die Umgebung wurde dunkel und alles war vorbei.«
    Steffen Braig blickte zum Fenster, sah draußen die Umrisse vieler Lampen, die sich im Wasser des Neckar spiegelten. Der Fluss war kaum zu erkennen, sein dunkles Bett schob sich wie mit dem Lineal gezogen, kerzengerade am Krankenhaus vorbei.
    »Sie hat es schon mindestens fünfmal erzählt«, erklärte die Frau im Nachbarbett, das vor dem Fenster stand, »jedem, der ins Zimmer kommt. Die Krankenschwestern kennen es auswendig. Sie hat kein anderes Thema mehr.«
    Braig nickte, betrachtete das knochige Gesicht seiner Mutter.
    »Es war so schön«, sagte sie, »ich freue mich für uns alle.«
    »Du sollst ans Leben denken, nicht ans Sterben.«
    »Irgendwann kommen wir alle dorthin.«
    »Irgendwann, ja. Aber jetzt wollen wir uns erst mal auf den Frühling freuen.« Die Temperatur draußen hatte gegenüber den letzten Tagen ordentlich zugelegt; erstaunt über den lauen Wind war er in Mannheim aus dem Zug gestiegen. Vielleicht lag es ein Stück weit daran, dass es hier unten am Rhein meistens wärmer war als im Schwäbischen, Braig erinnerte sich noch gut an die Zeit zurück, als er in Mannheim aufgewachsen war. Wenn sie im Fernsehen oder in einer Zeitung eine Wetterübersicht brachten, versahen sie das Rheintal fast immer mit den höchsten Temperaturen.
    »Es war viel schöner als der schönste Frühling. Das helle Licht und die wunderbare Atmosphäre. Die Farben und ihre Melodie. Du hättest es erleben sollen.«
    Er nickte, simulierte Einverständnis. In einer Zeitung hatte er davon gelesen, dass viele Menschen, die einen Kreislaufkollaps oder Herzstillstand erlitten hatten, im Nachhinein von wunderschönen Begegnungen und Wesen aus Licht berichteten. Ihr Verhältnis zum Tod hatte sich danach vollkommen verändert; statt weiter Ungewissheit und Angst zu empfinden, waren viele von der Erwartung der Heimkehr in ein verloren geglaubtes Paradies geprägt.
    Er wusste nicht, was er davon halten, wie er das Phänomen beurteilen sollte. Ärzte hatten diese Erscheinungen als typische Symptome in äußerster Not ums Überleben kämpfender Körper erklärt. Die mangelnde Sauerstoffversorgung des Gehirns bewirke gemeinsam mit dem dort entstandenen Kohlendioxidüberschuss deutliche Bewusstseinsvernebelung. Zugleich verursache die infolge der Notsituation veranlasste erhöhte Hormonausschüttung des Körpers euphorische Zustände, um das betroffene

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