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Schwaben-Herbst

Schwaben-Herbst

Titel: Schwaben-Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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ungeschoren davonzukommen.«
    »Das glauben Sie wirklich?« Die Skepsis in Neundorfs Miene war nicht zu übersehen gewesen.
    Thekla Kliss hatte ihren Kopf geschüttelt. »Nicht wirklich, nein. Aber ganz ausschließen können wir es nicht.«
    »Wir sollten die Theorie im Hinterkopf behalten. Aber dabei doch nicht vergessen, dass es wohl eher bewusst so durchgeführt wurde. Mit voller Absicht.«
    »Weshalb? Was war das Ziel?«
    »Das Ziel? Dem Opfer besondere Schmerzen zuzufügen.«
    »Es nicht nur zu töten, sondern auch noch leiden zu sehen?«
    »Aus welchem Grund auch immer.«
    »Opfer und Täter standen also in Beziehung zueinander.«
    »Das ist anzunehmen. In einer Beziehung, die aus den Fugen geraten war.«
    »Oder schon immer von Auseinandersetzung oder Hass geprägt war.«
    Neundorf hatte skeptisch aufgeschaut, der Frau aber insgeheim Recht gegeben. Das war genauso gut möglich, ja. Falls Täter und Opfer in einer Fehde miteinander standen, konnte es sich auch um eine alte, seit Jahren schwelende Sache handeln. Der Streit musste nicht zwangsläufig jüngeren Datums sein.
    »Habe ich Sie aus der Fasson gebracht?«, hatte die Staatsanwältin gefragt.
    »Ich habe keine fertige Antwort parat. Wir müssen alle Möglichkeiten durchspielen.«
    »Aber zu Ihrem Hauptverdächtigen passt es nicht.«
    »Lukas Feiner? Ich weiß zu wenig über ihn. Aber laut der Aussagen von Julia Gerber und auch der ihrer Mutter waren die beiden Freunde. Schachfreunde, um es genau zu sagen.«
    »Und sie sind sich erst vor Kurzem in die Haare geraten.«
    »Nach meinen Informationen, ja. Aber die fallen bisher noch recht bescheiden aus.«
    »Schachfreunde. Leidenschaftliche Schachspieler«, hatte Thekla Kliss eingeworfen. »Diese Spezies Mensch verbinde ich nicht gerade mit Aggressionen, Gewalt und Mord.«
    Natürlich war Neundorf längst der gleiche Gedanke durch den Kopf gegangen. Lukas Feiner und Andreas Sattler, zwei begeisterte Schachspieler. Waren das nicht eher vergeistigte, weltfremde Existenzen, den schnöden Verlockungen des Alltags längst entflohen, in jeder freien Minute mit mathematischen Berechnungen und taktischen Winkelzügen beschäftigt? Wesen mit überdurchschnittlich viel Gehirnmasse, weitgehend frei von trainierten Muskeln und zu Gewalt stimulierendem Testosteron? Und ausgerechnet zwei dieser Ausnahmeerscheinungen sollten wutentbrannt und von Mordlust getrieben aufeinander losgegangen sein?
    Neundorf erinnerte sich noch gut an eine Schwärmerei ihrer frühen Jugend, die einem wenige Jahre älteren Mitschüler gegolten hatte. Thomas Häfner, ein sanfter, von seinem Faible für die Königin der Brettspiele beseelter junger Mann, eine, wie ihr damals schien, von den üblichen pubertären Störungen seiner Geschlechtsgenossen absolut freie Person. Natürlich hatte sich nichts ergeben, war dem allein von seinem Schachspiel bewegten Idol das in heimlicher Zuneigung entflammte weibliche Wesen an seiner Seite wahrscheinlich nicht ein einziges Mal aufgefallen. Trotzdem hatte sie seine stille, zurückhaltende Art bewundert, mit der er nicht nur die dem vor- und nachmittäglichen Unterricht zwischengelagerten Spielrunden mit Mitschülern und Lehrern bestritt, sondern auch im ganz normalen Alltag durchs Leben zu gehen schien – jedenfalls in der subjektiven Wahrnehmung seiner jungen Verehrerin. Eine dieserart sozialisierte Person sollte zu einem kaltblütig vollzogenen Mord, zu einer bestialischen Attacke mit Säure und tödlichen Schüssen fähig gewesen sein?
     
    Zwei Tage nach dem Gespräch mit der Staatsanwältin, am Montag Mittag, hatte Andreas Sattlers endlich aufgespürter und aus seinem Urlaub zurückgekehrter Vater seinen Teil dazu beigetragen, ihre Überlegungen zu bestätigen. »Andreas ist nicht ganz von dieser Welt«, hatte der vom Schicksal seines Sohnes sichtlich betroffene Mann erklärt, »seit Jahren steckt er seine ganze Freizeit in diese stupiden Figurenschiebereien. Er schwebt in anderen Sphären, nimmt die Realität nicht einmal mehr in den Pausen zwischen zwei Schachpartien wahr. Ich konnte seine Begeisterung noch nie nachvollziehen, für mich sind das nur Figuren ohne jede Bedeutung. Aber seit uns seine Mutter vor fünf Jahren verließ, hat Andreas in diesem Spiel eine neue Heimat gefunden.«
    »Sie glauben, als Resultat des Verlusts seiner Mutter?«
    »Ich kann mir seinen Fanatismus nur so erklären«, hatte Stefan Sattler erklärt, »wenige Wochen nachdem sie sich mit ihrem neuen Freund in die USA

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