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Schwaben-Herbst

Schwaben-Herbst

Titel: Schwaben-Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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abgesetzt hatte, fing er damit an. Vielleicht hätte ich einen Psychologen um Rat fragen sollen, was dahinter steckt, als ich seinen fast abnormalen Eifer bemerkte. Andererseits, wenn ich ehrlich bin, war ich damals froh, dass der Junge einen neuen Lebensinhalt gefunden hatte. Melanie, meine ehemalige Frau, hatte für solche Spielereien nichts übrig. Zuhause am Bildschirm zu sitzen oder irgendetwas intensiv zu spielen, war für sie der absolute Horror. Sie wollte immer raus, unter Leute, sich zeigen, gesehen werden. Vor einem Schachcomputer hocken? Um Gottes willen! Vielleicht ist es seine Art, gegen seine Mutter und ihr Verhalten zu protestieren. So versuche ich mir seinen Fanatismus jedenfalls zu erklären.«
    »Sie kennen Andreas’ Freunde?«
    »Seine Freunde? Na ja, mit Freunden hat er es ja nicht so wild, das ist der nächste Punkt bei diesem seltsamen Zeitvertreib. In jeder freien Stunde hockt er an seinem Laptop oder am Schachcomputer und spielt gegen den oder einen seiner Freunde, manchmal sogar gegen einen Unbekannten, was weiß ich. Zeitweise hockt er auch einfach dort und brütet über neuen Strategien. Dann ist er vollends weggetreten, wie in einem anderen Universum. Zum Glück hat er Julia, mit ihr ist er seit ein paar Monaten zusammen. Sie spielt Schach, natürlich, wie soll es auch anders sein, aber bei weitem nicht so besessen wie er. Eher aus Liebe zu ihm, wie mir scheint. Ja, und dann dieser Lukas aus Nürtingen, mit dem hat er ab und zu Kontakt, nicht nur übers Internet, wenn ich das richtig beobachte. Das war es dann aber auch schon, ich sag Ihnen doch, der hockt fast nur vor seinem Laptop oder dem Schachcomputer.«
    »Wie gut ist Ihnen dieser Lukas bekannt?«
    »Lukas? Was soll ich Ihnen sagen? Wenn ich ehrlich bin, so gut wie gar nicht. Außer einigen flüchtigen Hallo oder Wie geht’s? zwischen Tür und Angel überhaupt nicht. Ein unauffälliger Typ, würde ich mal sagen. Der hockt wahrscheinlich genau so oft und so lang vor seinem Computer wie Andreas.«
    »Sie haben nichts von einem Streit zwischen den beiden bemerkt?«
    »Streit?«, hatte Stefan Sattler geantwortet. »Glauben Sie, dazu sind zwei so blutarme Typen überhaupt fähig?«
    Neundorf hatte dem Gespräch keine neuen Erkenntnisse entnehmen können. Nein, hatte der Mann abschließend betont, ihm sei niemand bekannt, mit dem sein Sohn im Clinch liege und die von der Kommissarin vorgetragene angebliche Bedrohung durch Lukas Feiner beruhe sicher auf einem Missverständnis. Wer als Täter noch dazu eines solch bestialischen Vorgehens infrage komme, sei ihm völlig unerklärlich.
    Neundorf war am Montagnachmittag enttäuscht ins Amt zurückgekehrt, hatte Schöffler gebeten, sich den Laptop des Toten vorzunehmen und sich um den Inhalt seiner in den letzten Wochen ausgetauschten Mails sowie um die Identifizierung von deren Absendern oder Empfängern zu kümmern. Anschließend war sie bei Hutzenlaub vorstellig geworden, sich um die Herkunft der bei dem Mord verwendeten Säure zu kümmern. Gab es Hinweise auf einen Einbruch oder einen Diebstahl in einer Apotheke, einem Labor oder anderen Einrichtungen innerhalb der letzten Monate, in deren Folge Salzsäure abhanden gekommen war? Lagen anderweitige Berichte über ein bisher nicht geklärtes Verschwinden der gefährlichen Flüssigkeit vor?
    Neundorf schob die Fotos von Sattlers Leiche zur Seite, sah Hutzenlaubs Bericht auf dem Schreibtisch liegen. Es handelte sich um einen Schriftsatz von insgesamt sechsundzwanzig Seiten, auf denen akribisch genau 123 Fälle eines belegten Abhandenkommens kleinerer und größerer Mengen von Salzsäure innerhalb der letzten zwölf Monate irgendwo in Deutschland polizeilich protokolliert waren. Hundert-dreiund-zwanzig Fälle in einem einzigen Jahr, überlegte sie, nur in Deutschland. Müssen wir die alle auf einen möglichen Zusammenhang mit unserem Mordfall überprüfen?
    Sie blätterte die Berichte durch, las den Vermerk wenige Zeilen unterhalb des Titels. Hier führen wir nur die zur Anzeige gebrachten Delikte auf. Die Höhe der Dunkelziffer uns nicht zur Kenntnis gebrachter Fälle wird aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Jahre auf mindestens denselben Level geschätzt.
    Sisyphos, überlegte Neundorf. Wenn uns das auf den Weg zum Täter bringen soll, dann werden wir uns über Wochen, wenn nicht sogar Monate hinweg mit jedem einzelnen dieser Fälle befassen dürfen. Apothekeneinbruch auf Apothekeneinbruch durcharbeiten und auf mögliche Querverbindungen

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