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Schwaben-Herbst

Schwaben-Herbst

Titel: Schwaben-Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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verbracht hatte. Zwar war Johannes den gesamten Nachmittag nicht von der Seite seiner Großmutter gewichen, die ständigen Spitzen und Kabbeleien der von ihrem Schwächeanfall offenkundig wieder genesenen Frau hatten dennoch an ihren Nerven gezehrt.
    »Du bist nur gekommen, weil Thomas heute arbeiten muss und du mit deiner Langeweile nichts anzufangen weißt. Sonst hättest du doch keine Zeit für die lahme Alte«, hatte sie sie empfangen.
    Neundorf war freundlich geblieben, hatte die Zähne zusammengebissen, alle Provokationen an sich abprallen lassen. Der Feiertag, der eigentlich der physischen und vor allem der psychischen Regeneration hätte dienen sollen, war so zu kräfteverschlingenden Stunden voller Stress mutiert. Am Abend hatte sie sich ähnlich erschöpft gefühlt wie nach einem langen Arbeitstag.
    Sie ließ ihren verhalten atmenden Partner im Schlafzimmer zurück, trat ins Zimmer ihres Sohnes, weckte ihn mit sanftem Streicheln, versuchte, ihren Kreislauf im Bad zu neuem Leben zu erwecken. Das Frühstück fiel einfach und bescheiden aus; eine kleine Schale Müsli für Johannes, zwei dünne Scheiben Vollkornbrot mit Käse für sich selbst. Sie überließ ihren Sohn der Obhut ihres aus dem Schlaf erwachten Lebensgefährten, verabschiedete sich von beiden, machte sich auf den Weg ins Amt. Zehn Minuten vor Acht war sie in ihrem Büro angelangt.
    Der Packen Fotos mitten auf ihrem Schreibtisch holte sie jäh in die berufliche Wirklichkeit zurück. Andreas Sattlers Leiche in allen Variationen. Das von Säure verätzte Gesicht, die weit geöffneten Augen, der von den Einschüssen gezeichnete und von ausgetretenem Blut verklebte Oberkörper, der Säurefraß an der Kleidung. Von oben, von der Seite, mit und ohne Kleidung, in kompletter Ansicht, winzigen Ausschnitten, lebensechter Wiedergabe und mehrfacher, bis ins kleinste Detail reichender Vergrößerung. Neundorf musterte ein Bild nach dem anderen, sah sich unwillkürlich wieder mit den Fragen konfrontiert, die sie seit dem ersten Anblick des toten Körpers am vergangenen Samstagmorgen beschäftigten.
    Wieso diese seltsame Hinrichtung? Weshalb die Säure? Warum ins Gesicht und auf die Hose?
    Alles nur Zufall? Einzig und allein deshalb benutzt, weil der oder die Täter im Moment des Geschehens neben ihrer Waffe auch Säure bei sich führten – aus welchem Grund auch immer?
    Neundorf spürte selbst, wie unbefriedigend diese Theorie letztendlich war. Wer führte schon zufällig irgendwelche Säuren bei sich? Ein Apotheker, der Angestellte eines Labors, der Ingenieur einer Chemiefabrik?
    Absurd, völlig absurd. Niemand lagerte dieserart gefährliche Materialien zufällig in seinem Handgepäck.
    Blieb also nur eine Antwort.
    Es war Absicht. Bewusst ausgeführt. Von Anfang an so geplant.
    Aber warum? Mit welcher Intention?
    Seit ihrem Gespräch mit der Staatsanwältin am Samstag Mittag war Neundorf sich bewusst, dass der Weg zum Täter aller Wahrscheinlichkeit nach nur über diese Frage aufzufinden war.
    »Weshalb hat er oder haben sie das getan?«, hatte Thekla Kliss ungläubig gefragt, nachdem sie die Fotos des Toten ausführlich betrachtet hatte. »Wir haben es hier doch nicht mit einem normalen Tötungsdelikt zu tun?«
    Was ist schon normal bei einem Mord, hatte es Neundorf auf der Zunge gelegen. Sie hatte sich die Replik erspart, war ihr die Frau bisher doch noch nie persönlich begegnet. Sie hatte weder privat noch beruflich mit ihr zu tun gehabt, außer verunglimpfenden Gerüchten noch nichts über sie gehört. Von die Unfähigkeit in Person über Alibifrau der staatsanwaltlichen Männermafia bis zur Schlampe, die sich durch die richtigen Betten hoch geschlafen hat waren mehrere Varianten übler Nachrede im Umlauf. Neundorf versuchte im Umgang mit der Beamtin möglichst sachlich zu bleiben, hatte ihren ersten Kontakt nicht als unangenehm empfunden. Mochte die Frau ihre Tücken haben – wer hatte die nicht? – besser als mit Koch, dem personifizierten Ekel zusammenarbeiten zu müssen, war es allemal.
    »Sie sprechen die Säure an?«, hatte sie erwidert.
    »Säure auf Kopf und Unterleib. Was steckt dahinter?«
    Sie war ruhig geblieben, hatte es ihrer Gesprächspartnerin überlassen, eine Theorie zu präsentieren.
    »Will uns der Täter ablenken?«
    »Absichtlich auf falsche Spuren führen?«
    »Weg von dem normalen Raubmord, mit dem wir es eigentlich zu tun haben.«
    »Und wir ermitteln in eine völlig falsche Richtung.«
    »Eine gute Chance für ihn,

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